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können, während andererseits der Mangel einer festen Partei-
bildung und einer imponirenden Entschiedenheit der Majoritäten
dem monarchischen Veto nicht nur eine sehr gute Wirksamkeit
versichern, sondern es auch zu einer wirklichen politischen Noth-
wendigkeit machen können.
VII. Sowie die Idee des Constitutionalismus nicht mehr
bloss in Gewohnheiten oder in der Macht der Thatsachen be-
ruht, sondern in bestimmten gesetzlichen Normen in die Erschei-
nung tritt, gewinnt derselbe eine wesentlich formale Seite, und
wird die Idee und praktische Wirksamkeit desselben wie sein
eigener Bestand von der Beobachtung der fraglichen Formen ab-
hängig. Je mehr diese formale Seite ausgebildet und wichtig
geworden, desto mehr führt sie auch zu einer doctrinären Be-
handlung. Der Constitutionalismus wird nicht nur zum Gegen-
stande der politischen Kritik, sondern auch der rechtswissen-
schaftlichen Beurtheilung, und die Wichtigkeit der letzteren steigt
durch den Umstand, dass die Interpretation des bestehenden
Rechtes durch dessen Unklarheit und Unvollständigkeit, nament-
lich auch bezüglich des Verhältnisses des Constitutionalismus zur
Staatsform oft genug zu einer ebenso weittragenden wie wichtigen
Kritik und Ergänzung herausfordert. Trotzdem wäre eine bloss
formell-doctrinäre Behandlung wie eine ausschliesslich ideale oder
realistische Auffassung des Constitutionalismus gleich falsch oder
doch ungenügend. In der That hat es auch, bewusst oder un-
bewusst, eine solche rein und ausschliesslich einseitige Auffassung
nie gegeben. Es hat sich immer das eine oder das andere der
angegebenen Momente nur als vorherrschend erwiesen.
Man pflegt die französische Nationalversammlung vom Jahre
17892) und das deutsche Parlament in Frankfurt vom Jahre 1848?)
als hervorragende Beispiele des idealen Constitutionalismus anzu-
2) Vgl. z. B. die Rede MirapeAu's in der Sitzung vom 28. Oct. 1789.
®) Wiederherstellung Polens, Gleichberechtigung aller Nationalitäten,
Volkssouveränetät.