Physikalische und chemische Arbeiten bei den Reiseprüfungen. 133
Freiheit in der Auswahl der eingehender zu behandelnden und daher
wohl auch in der schriftlichen Reifeprüfung mehr zu berücksichtigenden
Naturerscheinungen unentbehrlich, wenn eine kräftige Weiterentwicklung
in methodischer Hinsicht gesichert sein soll.
Es wird aber unbedingt darauf zu halten sein, daß in den
schriftlichen Arbeiten nicht nur gedächtnismäßig angelerntes Wissen
wiedergegeben wird, dessen übertriebene Anhäufung ohne jeden erzieh-
lichen und geistig fördernden Wert ist, sondern daß das Thema den
Prüflingen Gelegenheit bietet, nachzuweisen, wie weit sie in das
Verständnis der Naturerscheinungen eingedrungen sind und wie weit
sie den Sinn der Naturgesetze wirklich erfaßt haben. Denn was der
Abiturient eines Realgymnasiums oder einer Oberrealschule in den
Naturwissenschaften vor demjenigen eines Gymnasiums voraus haben
soll, beruht nicht so sehr in dem größeren Umfang positiver Kenntnisse
als in dem höheren Grade wirklicher Vertrautheit mit den physikalischen
und chemischen Gesetzen, der Klarheit ihrer Auffassung und der Sicher-
heit ihrer Anwendung.
Soll dieses Ziel erreicht werden, so muß der Unterricht, der
auch in den Naturwissenschaften auf ein bestimmtes Maß beständig
aufweisbarer Kenntnisse nicht verzichten kann, ebenso wie an den
Gymnasien so auch an den Realanstalten der Auswahl des unentbehr-
lichen Gedächtnisstoffes die größte Sorgfalt angedeihen lassen. Die
wichtigsten Gesetze müssen unter Zurückstellung aller Einzelheiten und
Schwierigkeiten in einfacher und klarer Form eingeprägt und nach
Möglichkeit in einen übersichtlichen Zusammenhang gebracht werden.
Dabei ist vor allem eine zu weit gehende Berücksichtigung der theo-
retischen Physik, die dem Hochschulunterricht überlassen bleiben kann,
zu vermeiden. Anstatt auf theoretische Auseinandersetzungen Gewicht
zu legen, soll der Unterricht mehr auf die Heranziehung und Behand-
lung wirklich selbst erarbeiteten experimentellen Stoffes gerichtet sein.
Er soll mehr die induktive Methode, die sich gerade in der Physik
und Chemie vorbildlich zur Anschauung bringen läßt, hervorkehren,
als sich von der Überschätzung deduktiver Erkenntnisse leiten lassen.
Die Würnsche, die die Königlichen Wissenschaftlichen Prüfungskommissionen
in bezug hierauf geäußert haben, liegen ganz in der Richtung der
methodischen Bemerkungen zu den Lehrplänen vom 29. Mai 1901
(Naturwissenschaften) und des Erlasses vom 13. Juni 1910 —
UM720 — CGentrbl. S. 697). Die Berücksichtigung der in den
Lehrplänen gegebenen Anweisungen wird hier und da in den gewählten
Aufgaben noch vermißt. So stellen einzelne der bearbeiteten Themata
an die Fassungskraft der Prüflinge zu hohe Anforderungen und lassen
daher auch in ihrer an den Text des Lehrbuchs sich anlehnenden
Ausarbeitung Zweifel aufkommen, ob für die geschilderten Erscheinungen