Full text: Reichs-Gesetzblatt. 1896. (30)

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§. 910. 
Der Eigenthümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines 
Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und be- 
halten. Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigenthümer dem 
Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat 
und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt. 
Dem Eigenthümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die 
Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. 
§. 911. 
Früchte, die von einem Baume oder einem Strauche auf ein Nachbargrundstück 
hinüberfallen, gelten als Früchte dieses Grundstücks. Diese Vorschrift findet keine 
Anwendung, wenn das Nachbargrundstück dem öffentlichen Gebrauche dient. 
§. 912. 
Hat der Eigenthümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Gebäudes 
über die Grenze gebaut, ohne daß ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last 
fällt, so hat der Nachbar den Ueberbau zu dulden, es sei denn, daß er vor oder 
sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat. 
Der Nachbar ist durch eine Geldrente zu entschädigen. Für die Höhe der 
Rente ist die Zeit der Grenzüberschreitung maßgebend. 
§. 913. 
Die Rente für den Ueberbau ist dem jeweiligen Eigenthümer des Nachbar- 
grundstücks von dem jeweiligen Eigenthümer des anderen Grundstücks zu entrichten. 
Die Rente ist jährlich im voraus zu entrichten. 
§. 914. 
Das Recht auf die Rente geht allen Rechten an dem belasteten Grundstück, 
auch den älteren, vor. Es erlischt mit der Beseitigung des Ueberbaues. 
Das Recht wird nicht in das Grundbuch eingetragen. Zum Verzicht auf das 
Recht sowie zur Feststellung der Höhe der Rente durch Vertrag ist die Eintragung 
erforderlich. 
Im Uebrigen finden die Vorschriften Anwendung, die für eine zu Gunsten des 
jeweiligen Eigenthümers eines Grundstücks bestehende Reallast gelten. 
§. 915. 
Der Rentenberechtigte kann jederzeit verlangen, daß der Rentenpflichtige ihm 
gegen Uebertragung des Eigenthums an dem überbauten Theile des Grundstücks den 
Werth ersetzt, den dieser Theil zur Zeit der Grenzüberschreitung gehabt hat. Macht 
er von dieser Befugniß Gebrauch, so bestimmen sich die Rechte und Verpflichtungen 
beider Theile nach den Vorschriften über den Kauf. 
Für die Zeit bis zur Uebertragung des Eigenthums ist die Rente fort- 
zuentrichten.
	        
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