Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

416 II. 6. Die Sozialpolitik des Deutschen Reiches (1880 89). 
die Mitglieder, nach Maßgabe der in ihren Betrieben von den Versicherten verdienten 
Löhne und Gehälter, sowie der statutenmäßigen Gefahrentarise, jährlich umgelegt 
werden. Bismarcks ursprüngliche Lieblingsgedanken: Neichsversicherungsanstalt und 
Reichszuschuß, waren also fallen gelassen, vorwiegend an dem Widerspruch des Zen- 
trums und an der Ablehnung des Tabaksmonopols gescheitert. Die Betriebsunter- 
nehmer mußten demnach die gesamten Lasten der Unfallversicherung allein aufbringen, 
was Bismarck noch 1880 für unmöglich gehalten hatte. Doch lieh auch das Reich 
zur Verwirklichung der Seguungen dieses Gesetzes seine Beihilse; zunächst, indem 
sämtliche Unsallrenten von den Postkassen vorschußweise gezahlt und von den Betriebs- 
genossenschaften zurückvergütet werden sollten; serner, indem die Postkassen die Bei- 
träge der Verpflichteten einziehen; endlich, indem die Verpflichtungen einer dauernd 
leistungsunfähig gewordenen Betriebsgenossenschaft auf das Neich übergehen sollten. 
Die Entscheidung darüber, ob dieser Fall vorliege, stand dem Bundesrat zu. Der 
Entwurf hatte sich die Errichtung der Berussgenossenschaften so gedacht, daß jede der- 
selben sich „in der Regel über das ganze Reich erstrecken und alle Betriebe derjenigen 
Industriezweige, für welche diefelbe errichtet ist, umfassen“ sollte. Aber in dieser Be- 
zichung mustte dem Zentrum im Laufe der Reichstagsberatungen das Zugeständnis 
gemacht werden, daß die Betriebsgenossenschaften sich entweder auf das ganze Reich 
erstrecken oder auch nur auf das Gebiet einzelner Bundesstaaten begrenzen konnten. 
Für die Bildung und Veränderung der Berufsgenossenschaften war, wie bercits 
bemerkt, möglichste Freiheit zugelassen. Ihre innere Verwaltung und Geschäftsordnung 
regeln die Berufsgenossenschaften selbständig durch ein von der Generalversammlung 
ihrer Mitglieder (Genossenschaftsversammlung) zu beschließendes Statut. Dieses muß 
Bestimmungen tressen über die Bildung des Vorstandes und den Umfang seiner 
Befugnisse, über die Berufung der Genossenschaftsversammlung, über das Stimm- 
recht der Berufsgenossen, über den Maßstab für die Verteilung der Genossenschafts- 
lasten. Jede Genossenschaft hat weiter für die einzelnen Industriezweige und Betriebs- 
arten, je nach dem Grade der mit denselben verbundenen Unfallgefahr entsprechende 
Gefahrenklassen zu bilden und nach denselben die Höhe der zu leistenden Beiträge ab- 
zustufen. Die bezüglichen Beschlüsse werden vom Reichsversicherungsamt genehmigt. 
Der Entwurf dachte sich also auch die oberste Aussicht über die Berufsgenossenschaften 
vom Reiche ausgeübt. Aber in den Kommissions= und Plenarverhandlungen des 
Reichstags mußte der zarten Fürsorge des Zentrums für die Negierungshoheit der 
Einzelstaaten zugestanden werden, daß die Aufsicht dem Neichsversicherungsamt oder 
Landesversicherungsämtern übertragen werden solle. Auf Betreiben der National- 
liberalen dagegen beschloß der Reichstag in dritter Lesung, diesen Amtern in wich- 
tigeren Fällen zwei richterliche Beamte beizugeben, um die Bürgschaft für eine sach- 
gemäße Rechtsprechung zu verstärken. Zu anderen als den durch das Gesetz vorgczeich- 
neten Zwecken dürsen weder Beiträge von den Mitgliedern erhoben werden, noch 
Verwendungen aus dem Vermögen der Genossenschaft erfolgen. Mitglieder der Ge- 
nossenschaft sind die Unternehmer, welche in das Genossenschaftsregisier ausgenommen 
und eingetragen werden.
	        
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