10 Erster Teil. Die Staatsverfassung. Erster Abschnitt. Die Grundlagen des Staats. 82.
das Freizügigkeitsgesetz, das Bd. G. über Erwerb und Verlust der Bundes= und Staats-
angehörigkeit vom 1. Juni 1870, endlich das Bd. G. über den Unterstützungswohnsitz
vom 6. Juni 1870. Das Wohnortsrecht war fortan nur noch als Bedingung der Ge—
meindegenossenschaft von einer gewissen Bedeutung, zu welcher jedoch der große Ap-
parat jener fragmentarisch gewordenen und deshalb schwer auszulegenden Landes-
gesetzggebung im Mißverhältnis stand. Durch ein G. vom 30. März 1873 Nr. 15 ward
diese daher aufgehoben und der Erwerb der Gemeindegenossenschaft und der politischen
Rechte in den Gemeinden neu geordnet. Die wesentlichen Bestimmungen dieses Ge-
setzes sind späterhin in die St O. und LGO. vom 18. Juni 1892 übergegangen.
Die durch die Reichsgesetzgebung herbeigeführte Umgestaltung des bisherigen
Gegensatzes und der Rechtsstellung von Landeseinwohnern und Fremden läßt sich
dahin zusammenfassen: An Stelle der Bezeichnung „Landeseinwohner“ ist der Be-
griff der „Staatsangehörigen“ getreten. Man hat nunmehr zu unterscheiden zwischen
diesseitigen Staatsangehörigen, Fremden, denen als Angehörigen anderer deutscher
Staaten gleich den diesseitigen Staatsangehörigen die Reichsangchörigkeit zukommt,
und den übrigen Fremden. Nur diese sind noch eigentliche „Fremde“ im Sinne der
NLO. Erwerb und Verlust der diesseitigen Staats= (bezw. der Reichs-) Angehörigkeit
regelt das RG. vom 1. Juni 1870 1). Die Staatsangehörigkeit hat neben der Reichs-
angehörigkeit nur noch insofern Bedeutung, als sie unbeschadet der Pflichten gegen
das Reich die besondere Treu= und Gehorsamspflicht gegenüber dem Landesfürsten
und dem Staat begründet (NLO. 9. 25) und die Vorbedingung der Ausübung
politischer Rechte im diesseitigen Staatsgebiet abgibt (ebd. § 26), soweit nicht auch
hier die Reichsgesetzgebung gewisse Erweiterungen zu Gunsten anderer Reichsange-
hörigen hat eintreten lassen (W . für den Reichstag des Nordd. Bundes vom 31. Mai
1869 5+ 4, GVG. 31, 36, 84, 113).
Den Fremden (Reichsausländern) wird, nicht kraft Rechtssatzes, sondern mittels
Duldung, die von der Entscheidung der Verwaltungsbehörden abhängt (NLO. J28),
in der Regel Aufenthalt und Niederlassung nach freier Wahl, überhaupt freie persön-
liche und wirtschaftliche Bewegung im Staatsgebiet gestattet. Ihrem Anspruch auf
Schutz der Gesetze entspricht die Pflicht zu deren Beobachtung. An den Staatslasten
haben sie, sofern nicht Staats-(Reichs-) Angehörigkeit ausdrückliche Voraussetzung der
Verpflichtung bildet, gleich den Staatsangehörigen teilzunehmen (NLO. 39, 40).
Ihre Auslieferung an außerdeutsche Regierungen zum Zweck strafrechtlicher Verfol-
gung hängt von der Verfügung der Landesregierung ab (NLO. 1206), soweit nicht
das deutsche Reich auswärtigen Staaten gegenüber in besonderen Verträgen die Ver-
pflichtung zur Auslieferung übernommen hat.
Die Erteilung der Aufnahme-, Naturalisations= und Entlassungsurkunden, sowie
die Wiederverleihung der diesseitigen Staatsangehörigkeit auf Grund der Bestimmun-
gen des RG. vom 1. Juni 1870 geschieht durch die Kreisdirektionen 2). Eine in Frie-
denszeiten erfolgte Versagung der Aufnahmeurkunde kann von Angehörigen eines
anderen deutschen Bundesstaats oder von früheren Reichsangehörigen, eine unter
1) Nebst den abändernden Bestimmungen des Ech. zum B#sB. Art. 41.
2) In der Stadt Braunschweig nach dem G. vom 1. Juni 1900 Nr. 25 durch die Polizei-
direktion.