Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band 4. Das Staatsrecht des Herzogtums Braunschweig. (4)

20 Zweiter Abschn. Die Organisation. I. Die obersten Staatsorganc. B. Die Landesverslg. § 8. 
  
3. Die Familienrechte und die inneren Verhältnisse des Herzogl. Hauses unter- 
liegen der hausgesetzlichen Ordnung seitens des Oberhauptes der Familie. Derartige 
Ordnungen bedürfen der Zustimmung der Landesvertretung nicht, indes können durch 
sie keine im Landesgrundgesetz enthaltenen Bestimmungen geändert werden (NLO. 
23). Für das Herzogtum kommt nur in Betracht das Hausgesetz, die Vermählungen 
der Prinzen und Prinzessinnen des Durchlauchtigsten Gesamthauses Braunschweig- 
Lüneburg betreffend, vom 24./19. Oktober 1831 (s. Seite 14). Mangels hausgesetz- 
licher Ordnungen ist auf Herkommen und anerkannte Normen des gemeinen deutschen 
Privatfürstenrechts und schließlich auf die Vorschriften des B#. zurückzugreifen 1). 
B. Pie Landesversammlung. 
§s 8. Deren verfassungsrechtliche Stellung im allgemeinen. — Das im Art. 57 
der Wiener Schlußakte im Gegensatz zur Theorie der Gewaltenteilung zum Ausdruck 
gebrachte sogen. monarchische Prinzip, demzufolge die gesamte Staatsgewalt im 
Staatsoberhaupt vereinigt bleiben muß und der Souverän durch eine landständische 
Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände 
gebunden werden darfs, beherrscht auch das braunschweigische Landesgrundgesetz. Aber 
in den Verfassungsurkunden, die unter den Eindrücken der französischen Julirevolution 
entstanden, haben die Befugnisse der Landesvertretungen durchweg manche Erwei- 
terungen erfahren und im Herzogtum bewogen die politischen Verhältnisse, denen der 
Erlaß der NLO. zu danken ist, die neue, nicht zweifellos legitime Regierung zu be- 
sonderer Rücksichtnahme auf die erregte Stimmung des Landes. Daher ist das Landes- 
grundgesetz vom 12. Oktober 1832 in bezug auf die der Ständeversammlung einge- 
räumte Rechtsstellung den freisinnigeren Verfassungsurkunden jener Zeit, wie der 
folgenden Jahrzehnte, in erster Reihe zuzuzählen. Die Zusammensetzung der „Land 
schaft“ freilich zeigt zunächst noch starke Anklänge an die alte ständische Gliederung und 
die zur Sicherung des Bestandes der in der Versammlung vertretenen 3 „Standes- 
klassen“ (Abgeordnete der Ritterschaft, der Städte, der Bauern, Freisaßen, Flecken- 
bewohner) getroffenen Bestimmungen erinnern merklich an die Behandlung wohl- 
erworbener Privatrechte 2). In diesen Hinsichten hat die neuere Gesetzgebung durch- 
greifend Wandel geschaffen. Dagegen wird das Wahlgesetz immer noch nur auf sehr 
geteilte Anerkennung rechnen dürfen (Dreiklassensysteem, indirekte Wahlen) 3). Eigen- 
tümlich sind der braunschweigischen Verfassung: die weitgehende Zuständigkeit des 
Ausschusses, die Vielgestaltigkeit des Etatwesens (bedingt durch die rechtliche Ver- 
schiedenheit von Kammergut, Kloster= und Studienfonds, und Staatsgut im engern 
Sinn), ferner — als Reste altständischer Einrichtungen — die Landtagsabschiede (an 
Stelle der Etatgesetze), das Konvokationsrecht der Landesversammlung und die Bei- 
behaltung des Amts des Landsyndikus mit z. T. ähnlichen Funktionen, wie sie seit 
Jahrhunderten bestanden hatten. — Als erstrebenswerte Erweitcrungen der landstän- 
1) Näheres darüber: Hampe, partikulares braunschw. Privatrecht (2. Aufl.) § 7. 
2) NLO. 85 142 fg. Danach muß bei einer beabsichtigten Aenderung in der Vertretung einer 
dieser Klassen die Mehrzahl der Abgcordneten des beteiligten Standes der der Abänderung 
zustimmenden 7/2 Mehrheit beitreten. Bei Wiederholung des Abänderungsvorschlages auf dem 
nächsten Landtage genügt dann die 5 Mehrhceit ohne Rücksicht auf die Stimmen des betref- 
fenden Standes. Die Bestimmung ist seit 1848 außer Kraft getreten. 
3) Ueber Aenderungsanträge aus neuester Zeit: S. 25, Anm. 1.
	        
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