26 Zweiter Abschn. Die Organisation. I. Die obersten Staatsorgane. B. Die Landesverslg. § 10.
ten, steuerpflichtigen Mindesteinkommens ganz abgesehen und als Bedingung der
Wahlberechtigung gefordert: akademische Vorbildung, Ablegung einer Staatsprü-
fung oder Anstellung im Staatsdienst, und mindestens fünf Jahr hindurch seit Vollen-
dung des 30. Lebensjahres andauernde, innerhalb des deutschen Reichs stattgehabte
Berufsausübung 1). Bei der Wahl der Wahlmänner werden die zur letzten Stadt-
verordneten= oder Gemeinderatswahl benutzten Listen der Wahlberechtigten, ausge-
stellt nach den auf Grund des Gemeindeabgabengesetzes zu zahlenden direkten Ge-
meindesteuern, ohne abermalige öffentliche Auslegung zugrunde gelegt. Hinsichtlich
der einzelnen Wahlkörper der Berufsstände hat das Steuerkollegium alljährlich na-
mentliche Listen der Wahlberechtigten zu veröffentlichen, welche für die im nächsten
Kalenderjahr stattfindenden Wahlen maßgebend sind. Für das Verfahren bei den
Wahlmännerwahlen gelten mit einigen Vereinfachungen die für die Wahl zu den
Gemeindeämtern in der St O. und der LG. erlassenen Vorschriften (s. § 19). Die
Wahlen der Abgeordneten erfolgen gleich jenen durch verschlossene Stimmzettel, nach
voller Mehrheit der abgegebenen (gültigen) Stimmen. Bei Stichwahlen entscheidet
einfache Stimmenmehrheit, und bei Stimmengleichheit das Los (WG. 816). Das Wahl-
geschäft leitet ein Wahlvorsteher unter Unterstützung zweier Wahlgehilfen. Dem auf-
zunehmenden Protokoll sind die Listen der Wahlberechtigten und die für ungültig er-
klärten Stimmzettel anzufügen, die gültig befundenen hat der Wahlvorsteher bis zur
Entscheidung der Landesversammlung über die Anerkennung der Wahlen versiegelt auf-
zubewahren. Die allgemeinen Wahlen finden sämtlich an ein und demselben Tage
statt, die der Berufsstände gleichfalls, jedoch zwei Wochen später (W G. § 10). Eine
Vorschrift, zufolge deren es des Erscheinens einer bestimmten Anzahl von Wahlbe-
rechtigten zur Vornahme einer gültigen Wahl bedarf, besteht nicht mehr. Die frühere
Bestimmung, welche den unentschuldigt ausgebliebenen Wählern die Kosten des ver-
eitelten Wahltermins zur Last legte, ist nach dem Vorgang Belgiens und der Schweiz
ersetzt durch Einführung eines indirekten Wahlzwanges mittels Festsetzung einer Ver-
säumnisstrafe von je zehn Mark gegen die ohne gerechtfertigten Grund ausgebliebenen
Wahlberechtigten (W . 5k. 12.
Gegen die Listen der zu den Berufsständen gehörigen Wahlberechtigten ist binnen
14 Tagen eine Einsprache bei dem Steuerkollegium zulässig, dessen Entscheidung von
dem in seinem Recht Verletzten durch Klage bei dem Verwaltungsgericht oder durch
Beschwerde bei der Landesversammlung angefochten werden kann. Eine solche Be-
schwerde steht zugleich jedem der politischen Rechte teilhaftigen Staatsangehörigen im
öffentlichen Interesse — gleich einer Popularklage — zu und zwar im weitesten Um-
fange, mag es sich um die Gültigkeit der Urwahlen oder Abgeordnetenwahlen, um die
Zulässigkeit des Gewählten oder um das Wahlverfahren handeln. Die Landesversamm-
lung entscheidet in allen Fällen, sofern nicht etwa vom Verwaltungsgerichtshof schon
ein Urteil abgegeben ist, in letzter Instanz ). Die Vorprüfung sämtlicher Wahlen
1) G. vom 2. März 1903 Nr. 7 Art. II. Die betreffenden Bestimmungen bilden das
Ergebnis eines mühevoll zustande gebrachten Kompromisses. Sie enthalten auffällige Willkür-
lichkeiten und sind auch redaktionell durchaus nicht einwandsfrei.
2) Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom 5. März 1895 Nr. 26, 5 55, W G. F1, 3. 5 30 fg.,
35 fg., 44 fg. G. vom 2. März 1903 Nr. 7 Art. V. GO. §6, 7 und wiederum WG. 49.
Näheres über diese einigermaßen verwickelten und sachlich recht anfechtbaren Bestimmungen:
Rhamm,, Verf.-Gesetze S. 160 fg. Anm. 6.