70 II. Die Staatsverwaltung. Erster Abschn. Auswärtige Angelegenheit. u. Kriegswesen. § 23.
Nach dem unzweideutigen Grundsatz der NLO. ruht der Abschluß von Staats-
verträgen in den Händen der Krone und die völkerrechtliche Gültigkeit des Vertrags
ist von einer Mitwirkung der Landesvertretung unabhängig. Anders verhält es sich
mit der staatsrechtlichen Vollziehbarkeit. Die Landesversammlung soll, sobald es
die Umstände gestatten, vom Abschluß der Staatsverträge in Kenntnis gesetzt werden,
und es bedarf verfassungsmäßig ihrer Zustimmung, wenn die Ausführung des Ver-
trags die Aufwendung besonderer Staatsmittel erfordert oder ein Eingreifen der
Landesgesetzgebung bedingt (NLO. §§ 8, 98 ff.). Die Verkündigung der Staats-
verträge hat man nur dann als ein unerläßliches Erfordernis erachtet, wenn durch
den Vertrag zugleich die Landesuntertanen kraft dauernd festgestellter Rechtssätze
direkt gebunden, namentlich in ihren Privatrechten unmittelbar berührt werden ½#).
Die zur Ausführung oder aus Anlaß von Staatsverträgen zu erlassenden Gesetze
und Verordnungen müössen selbstverständlich in der den allgemeinen Vorschriften
des Landesgrundgesetzes entsprechenden Form verkündigt werden. Bei der Publi-
kation der Verträge selbst ist dagegeen nicht immer gleichmäßig verfahren; in neuerer
Zeit erfolgt sie meist durch Einführungsverordnung unter Hinweis auf eine etwa
eingeholte Zustimmung der Landesversammlung. Die Mitwirkung der Landesver-
tretung wird in der Regel unter Vorlegung des vereinbarten Vertragsentwurfs vor
der Vertragsratifikation in Anspruch genommen. Doch fehlt es nicht an Beispielen,
in welchen sie vor Feststellung des Vertragsentwurfs oder auch nach der Vertrags-
ratifikation erfordert worden ist ?). — Die Staatsverträge der letzten Jahrzehnte sind
Staatsverträgen vergl. namentlich Haenel, Staatsrecht Bd. 1 S. 547 ff. Laband BP-Bd. 1
63.
1) So: Urteil des OLG. Braunschweig vom 27. Februar 1885 (gZeitschr. f. Rechtspflege
Bd. 32 S. 163 fg.) in Anlehnung an die Ausführungen von E. Meier, Abschluß von Staats-
verträgen, S. 3209 fg.
2) Ein eigentümliches Verfahren hat man eingeschlagen bei der Publikation der Verfassung
des Norddeutschen Bundes. Der nach Auflösung des deutschen Bundes von Braunschweig
mit Preußen geschlossene Bündnisvertrag vom 18. August 1866 hatte vorher auf Grund eines
seine Ziele darlegenden, durch Beifügung eines Bundesreformplanes präzisierten Regierungs-
schreibens am 20. Juli 1866 die einstimmige Genehmigung des Landtags gefunden. Jener
Reformplan umfaßte bekanntlich die Grundzüge zu einer einheitlichen Machtentwicklung des ge-
samten Deutschlands unter Ausschluß Oesterreichs und nahm zur Vereinbarung der dem neuen
Bunde zu gebenden Verfassung die Einberufung eines deutschen Parlaments in Aussicht. Der
Nikolsburger Frieden vereitelte die volle Durchführung dieses Plans. Am 13. November 1866 pub-
lizierte nun die braunschweigische Regierung das Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen
Bundes „mit Zustimmung der Landesversammlung“, obschon die vom Landtage am 20. Juli ge-
gebene Ermächtigung unter völlig verschieden gearteten Voraussetzungen erteilt worden war. Auch
publizierte sie in der Folge die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 25. Juni 1867
mit der Eingangssormel: „Nachdem die Verfassung des Norddeutschen Bundes von den ver-
bündeten Fürsten und freien Städten mit dem Reichstage vereinbart worden ist und die Zu-
stimmung der Landesversammlung im voraus bereits erhalten hat, verkünden
Wir usw.“ Ueber die Absicht, in dieser Weise vorzugehen, war nur der Ausschuß gutachtlich
gehört und hatte sich damit einverstanden erklärt. Auf dem bald hernach wieder zusammen-
tretenden Landtag beantragte ein Abgeordneter, die Landesversammlung möge in Erwägung
des Zweifels, ob der Beschluß vom 20. Juli 1866 ohne weiteres auf die durch die späteren ge-
schichtlichen Ereignisse herbeige führte Gestaltung des Norddeutschen Bundes zu beziehen sei, zur Be-
seitigung formeller Bedenken beschließen, zu der durch Publ.-Patent vom 25. Juni 1867 ver-
kündeten Verfassung des Norddeutschen Bundes damit ihre Zustimmung erteilen (Sitzung vom
10. August 1867). Der Antrag ward aber, nachdem vom Staatsminister, wie aus der Ver-
sammlung der im Publ.-Patent, zweifellos irriger Weise, vorausgesetzte rechtliche Zusammen-
hang zwischen diesem und dem früheren Beschlusse der Landesversammlung vertreten und eine
nochmalige Abstimmung als ein bedenkliches superfluum bezeichnet war, mit großer Stimmen-
mehrheit abgelehnt. Otto, S. 106. Rhamm,, Verf.-Gesetze S. 72—79.