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Jahres 1702, als infolge der Zerwürfnisse der Herzöge mit der Lüneburger Linie
ihres Hauses hannöversche und cellische Truppen in das Herzogtum eingerückt
waren, gelang es einmal den zufällig versammelten Deputierten der Stände,
ihren Rat zur Geltung zu bringen 2).
Da auch die Teilnahme der Stände an der Gesetzgebung längst aufgehört
hatte 2), so blieb ihnen hauptsächlich nur die Mitwirkung bei der Ordnung des
Finanzwesens. Zwar hatte auch das Recht der Steuerbewilligung an seiner
Bedeutung dadurch verloren, daß die von den Herzögen mit fremden Mächten
abgeschlossenen Subsidienverträge es ihnen öfters ermöglichten, auch ohne
ständische Beihilfe eine ansehnliche Truppenzahl aufzustellen und zu unterhalten,
aber es hat tatsächlich doch die einzige Schranke gebildet, die der Verschwendung
und dem Prunk des fürstlichen Absolutismus Einhalt setzte.
Seit 1682 ist ein allgemeiner Landtag bis zum Jahre 1768 vom Landes-
herrn überhaupt nicht mehr ausgeschrieben 3). Um diese Zeit nötigte die völlige
Zerrüttung der Landesfinanzen, eine Folge der überaus kostspieligen Hofhaltung
und der Heimsuchungen des 7 jährigen Krieges, den Herzog Karl, zur Abwen-
dung des drohenden Staatsbankrotts die Hilfe der Landschaft in Anspruch zu
nehmen. Die zu Braunschweig am 17. Dezember 1768 begonnenen Verhand-
lungen hatten nach langwierigen Kommissionsberatungen das Ergebnis, daß
gegen die Zusage erheblicher Einschränkungen des Hofhaltes und des Militärs
öfters Sachen vorkämen, die „keinen Aufschub litten oder die Mehreren nicht gemein
gemacht werden könnten", der Geheime Rat von Steinberg zum landschaftlichen
Direktor bestellt und mit ihm anstatt mit der ständischen Vertretung „das Geheimbste
in des Landes publicis communiciret werden" — ein Ansinnen, das der große Aus-
schuß allerdings „omnimodo verbeten". Der Geheime Rat v. Steinberg ist dann
vom Herzog durch Verleihung des Oberhofmarschallamtes, von der Landschaft durch
Bewilligung eines jährlichen Zuschusses von 600 Talern, zur Hälfte aus der Renterei,
zur anderen aus der Biersteuerkasse zahlbar, „soulagiret“ worden. Wismann, S. 389.
1) Wismann, a. a. O., S. 95 bis 128.
2) Die größeren Verwaltungsgesetze und Prozeßordnungen des 17. Jahrhunderts
— Landesordnung von 1649, Kanzleiordnung von 1651, Hofgerichtsordnung von
1663, Amtskammerordnung von 1688 —, ebenso wie die Erneuerte Kirchenordnung
von 1709, sind ohne die Stände erlassen. Anders ein Jahrhundert vorher die Hof-
gerichtsordnung von 1556 und die Kirchenordnung von 1569. Der Artikel 4 der
landschaftlichen Privilegien von 1710 wiederholt zwar noch unter Verweisung auf die
älteren Rezesse die Versicherung, daß die wichtigeren Landesordnungen und die fürst-
lichen Constitutiones allemal mit Zuziehung und eingenommenen Gutachten der
Stände gemachet, revidiret und eingerichtet werden sollen; tatsächlich aber hatten sich
die Verhältnisse längst so gestaltet, wie sie hernach im Art. 10 der Privilegien von
1770 zum Ausdruck gebracht sind.
2) Im Jahre 1702 ist nur mit den Ausschüssen und noch einigen zugezogenen
Ständemitgliedern verhandelt. Dagegen haben Konvokationstage stattgefunden im
Jahre 1714 und 1751: 1714 versammelten sich die Stände zu Gandersheim, um über
die zur Verstärkung des Militärs erforderlichen Kosten zu beschließen, Mismann,
S. 169 und 173; 1751 ist über eine allgemeine Verbesserung der Wege im Herzogtum
beraten. Das Konvokationsrecht der Stände zur „Beratschlagung der Landesnotdurft"
ist schon im Landtagsabschiede vom 27. Januar 1619, Art. 38, als eine hergebrachte
alte Freiheit bezeichnet.
Rhamm, Verfassungsgesetze. 2. Aufl. 2