— 56 —
(Betrachtungen) Loyola's betrifft, auf welche jeder Jesuit das
ganze Leben hindurch jährlich wenigstens acht, der Novize
aber 30 volle Tage verwenden muß, so lassen wir über
sie die trefflichen Worte eines neueren Geschichtschreibers
sprechen:)
„Das ganze Buch ist ein psychologisches Meisterwerk.
Mit wahrer Virtuosität beherrscht es das menschliche Herz,
seine verborgensten Beweggründe, seine feinsten und seine
gröbsten Empfindungen. Die höchsten Ideen wie die sinn-
lichen Instinkte des Menschen werden in den Dienst der
Absichten des Verfassers gestellt, die darauf hinauslaufen,
die Seele Gott, d. h. der katholischen Kirche gänzlich zu
unterwerfen. Kein Mittel ist dabei vergessen, und am
wenigsten die äußerlichen: wie die genaue schriftliche Auf-
zählung der Sünden und ihre häufig wiederholte Beichte
durch den Schüler; die Erregung der Einbildungzskraft bis
zur Herbeiführung von Hallucinationen; vollständige Zwie-
gespräche des Gläubigen mit seiner eigenen Seele und seinem
eigenen Gewissen, sowie mit Christus, der Jungfrau und
den Heiligen; die Verpflichtung, moralischen Schmerz und
Selbstverachtung zu empfinden und Thränen zu vergießen:
glühende Gebete, die jedesmal dem behandelten Gegenstande
angepaßt sind; das deutliche Bild des gekreuzigten Jesus, sowie
die Hölle mit allen ihren Martern.“ Der Schüler wird
um Mitternacht geweckt, es werden ihm Ekelette vorgehalten,
wenn er düster, Blumen überreicht, wenn er mild gestimmt
werden soll. Gewisse Stellungen und Geberden werden
ihm vorgeschrieben; Fasten und Geißelungen fehlen nicht
dabei. Das Ziel von allem dem aber ist die völlige willenlose
Unterwerfung unter die römische Kirche. Die Kirchenväter,
Thomas von Aquino und die Lieblingstheologen der Jesuiten
*) Philippson, Westeuropa, Einleitung S. 56 f. Exercitia spiritu-
alia Sancti Patris Ignatii, explicata per R. P. Jacobum Noct S. I.
Ed. 2. Dilingae 1689.