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einem gewissen Fräulein Spitz aus Mülhausen im Elsaß zum
Schein verkaufte, in Wirklichkeit aber verpachtete. Da nun
aber diese Person, weil ebenfalls eine Ausländerin, nicht
sicher war, ihr edles Geschäft betreiben zu können, wurde
ein ungebildeter, mißgestalteter und schon ältlicher Berner,
Namens Scheidegger, durch Geld bewogen, sich mit der
Spitz zum Schein trauen zu lassen; unmittelbar nach der Cere—
monie aber kaufte man dem „Gatten“ eine Scheidungsklage ab,
welche auch die „junge Frau“ einreichte. Später zog Scheidegger
seine Klage zurück, seine „Frau“ aber hielt die ihrige aufrecht;
mochten indeß die Gerichte entscheiden wie sie wollten, so
war „Frau Scheidegger-Spitz“ jetzt Bernerin und konnte
aus ihrer „Heimat“ nicht ausgewiesen werden, auch betrieb
sie die Inseli-Wirtschaft nach wie vor unter dem Schutze der
geheimen Sittenpolizei der Stadt Bern fort und brachte in
derselben vorzüglich gefallene Mädchen aus ihrer ursprüng—
lichen Heimat, dem Elsaß, unter. Den Fortbestand dieser
„Anstalten“ sicherten zugleich die Lauheit der Stadtpolizei,
die Milde des Strafgesetzbuches mit Rücksicht auf die Prosti—
tution und die Richtung der einflußreicheren Ärzte, welche
„die Organisation“ der Unzucht für eine sanitäre Not—
wendigkeit halten. Ja, es kam soweit, daß die Stadtpolizei
auf Andringen jener Ärzte fünf Kuppler und Kupplerinnen
darunter auch „Frau Scheidegger-Spitz“ zusammenberief
und ihnen zu verstehen gab, sie könnten aller Strafe entgehen,
wenn sie sich gewissen Vorschriften unterwerfen. Die Gerichte
ließen sich durch dieses Abkommen allerdings nicht irre machen
und verurteilten Frau Scheidegger-Spitz zu 25 Tagen
Gefängnis wegen Kuppelei; aber die höhere Instanz ver—
kürzte die Strafe auf 15 Tage, und es ist nicht bekannt, ob
sie überhaupt vollzogen worden. Bekannt ist nur, daß die
„geheime Sittenpolizei“ in Bern fortbestand bis zum Februar
1888, zu welcher Zeit die Kantonsregierung die Aufhebung der
Bordelle beschloß und diesen Beschluß energisch durchführte. —