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daß in dieser Richtung noch kein System gefunden ist, das
den Anforderungen entspräche, welche Vernunft und Sittlichkeit
an diejenigen Organe zu stellen berechtigt sind, denen die
Aufsicht über das Verhalten der beiden Geschlechter gegen—
einander obliegt.
Diese Unsicherheit ist um so erklärlicher, als es eine
Menge abweichender Ansichten über die richtige Art, wie
über den Zweck jenes Verhaltens giebt, welche schlechterdings
unvereinbar mit einander sind. Da finden wir auf der
äußersten Rechten bei der Reaktion und Orthodoxie die
Ansicht, daß die beiden Geschlechter nur dazu da seien,
um nach dem Bibelwort: „seid fruchtbar und mehret euch“
legitime Nachkommen zu erzeugen. Und hinwieder wird auf
der äußersten Linken, bei der Sozialdemokratie und Anarchie,
gelehrt, daß die Wollust der einzige Zweck des Daseins der
Geschlechter und deren Folgen, die Erzeugung von Kindern,
nur eine lästige Beigabe sei, deren man sich durch öffentliche
Erziehungs= (warum nicht auch Beseitigungs-?) Anstalten so
rasch als möglich entledigen solle.
Es ist für den gesunden Menschenverstand nicht einzusehen,
warum das Verhältnis der Geschlechter nur einen einzigen
Zweck haben sollte, während deren Wesen, wie es die Natur
selbst offenbart, einen doppelten Zweck ihres Verkehrs darlegt,
dessen beide Glieder sich wieder in einer höheren Einheit
zusammen finden. Dieser Doppelzweck ist derjenige der Liebe
und der Kinderzeugung, und die höhere Einheit, zu der
sich beide verbinden, ist das Familienleben.
Würden die beiden Geschlechter sich, wie die reaktionär—
orthodoxe Ansicht will, einzig und allein zum Zwecke der
Erzeugung von rechtmäßigen Nachkommen verbinden, wo
bliebe da die Liebe, die doch unleugbar in der menschlichen
Natur liegt? Die Natur des Triebes, um den es sich hier
handelt, zeigt, daß das Bedürfnis einer Vereinigung der
Geschlechter das Maß dessen, was zu einer Zeugung erforderlich