6 Grundzüge des Verfassungsrechts des deutschen Reichs.
fassung „Bundesglieder" genannt. Der Bund soll ein ewiger
sein, und es kann daher kein Bundesglied aus demselben ohne Zu-
stimmung der sämmtlichen Betheiligten d. h. der Gesetzgebungsfaktoren
des Reichs und aller Einzelstaaten auskreten.
IV. Das Bundesgebiet bildet sich aus den Territorien der
sämmilichen in Art. 1 der Reichsverfassung angeführlen Staalen, zu
denen noch die von Frankreich zurückeroberten Gebictslheile — Elsaß
und Lothringen kommen. Gegen Außen erscheint das Bundesgebiet als
ein einheitliches Ganzes; die Auslandsgrenzen der Einzelstaaten bilden
die Reichsgrenzen. Auch gegen Innen ist das Reich in den ver-
schiedenen weiter unten in § 3 Ziff. V angeführten Beziehungen als
ein einheitliches Gebiet zu betrachten.
V. Das deutsche Reich ist fortan nicht bloß in ideeller, sondern
auch in rechtlicher Beziehung das weitere Vaterland aller Deutschen.
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat (Art. 3
der Reichsverf.). Wer die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate
besitzt oder erwirbt, ist oder wird damit von Rechtswegen ein Bundes-
angehöriger — ein Deutscher. Die Bestimmungen über die Erwerbung
und den Verlust der Staats= und Bundesangehörigkeit sind zufolge des
Reichsgesetzes vom 1. Juni 1870 in allen Bundesstaaten die nemlichen.
VI. Das Reich besißt die gesetzgebende und bollziehende
Gewalt in dem durch die Verfassung und die Reichsgesetze näher be-
zeichneten Umfange. Dem Reiche kommt ferner nach Art. 76 u. 77
der Verf. eine Art Richteramt*) zu in Bezug auf Streitigkeilen zwischen
einzelnen Bundesgliedern, dann in Bezug auf Verfassungsstreitigkeiten
innerhalb eines Bundesstaats, sowie hinsichtlich ungerechtfertigter Justiz--
verweigerung.
VII. Die Träger der Reichsgewalten sind innerhalb ihres ver-
fassungsmäßigen Wirkungskreises: der Bundesrath (Art. 6— 10
der Verf.), der deutsche Kaiser (Art. 11—19) und der Reichstag
(Art. 20—32 der N.V.). Da das deutsche Volk durch den Reichstag
bei der Ausübung der Reichsgewalt mitwirkt, so erscheint die Re-
gierungsform des Reichs eine constitutionelle. Die Vollzugsge-
*) Die im Namen des Reichs von dem Bundesoberhandelsgerichte und den
Bundeskonfuln ausgcüble Gerichtsbarkeil erscheint als Ausfluß der dem Reiche in
Bezug auf die betressenden Materien zukommenden Gesetzgebungsbefugniß.