Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

Geseg, betreffend die Verfassung des deutschen Reichs. Art. 27 u. 28. 115 
selben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während 
derselben Session nicht wiederholt werden. 
Art. 27. 
Der Reichstag prüft die Legitimation!) seiner Mitglieder und 
entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang:) und seine 
Disziplin durch eine Geschäfts-Ordnung und erwählt seinen Prä- 
sidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer. 
1. Die Wahlen werden von den einzelnen Abtheilungen des Reichs- 
tags einer Vorprüfung unterworfen. Findet die Abtheilung ein erhebliches 
Bedenken oder liegt eine Wahlanfechtung oder von Seite eines Reichs- 
tagsmitgliedes Einsprache vor, so ist der Sachverhalt dem Reichstage zur 
Entscheidung vorzulegen. Für Wahlanfechtungen und Einsprachen gilt 
eine 10tägige Präclusivfrist. Bis zur Ungiltigleitserklärung einer Wahl 
hat der Gewählte Sitz und Stimme im Reichstage (§ 3—6 der Ge- 
schäftsordnung). 
2. Die Geschästsordnung des deutschen Reichstags ist zur Zeit 
diejenige des norddeutschen Reichstags (Sten. Ber. S. 5); über deren 
Entstehung s. Rönne in Hirths Annalen Bd. IV S. 268. Diese Ge- 
schäftsordnung ermöglicht namentlich deßhalb eine rasche Erledigung der 
Geschäfte, weil sie von dem anderwärts geltenden Grundsaßze, wonach die 
Berathungsgegenstände in der Regel an einen Ausschuß oder eine Kom- 
mission zu verweisen sind, absieht und eine sofortige Inangriffnahme in 
Plenum gestatlet. Im Interesse der Gründlichkeit besteht hiebei die Vor- 
schrift, daß Gesetzesvorlagen und Anträge, welche Gesetzentwürse enthalten, 
einer dreimaligen Berathung im Hause unlerstellt werden, nemlich einer 
Vorberathung, in welcher nur die allgemeinen Gesichtspunkte zur Besprechung 
gelangen, dann einer zweiten Berathung, welche der Specialdiskussion ge- 
widmet ist, und einer Schlußberathung, in welcher noch Anträge zulässig 
sind und über die Annahme und Ablehnung des Gesehentwurfs abge- 
stimmt wird (§ 15—23 der Geschäftsordnung). Durch diese Vor- 
schriften ist die Ueberweisung von umfassenderen oder wichtigeren Gegen- 
ständen an besondere Kommissionen nicht ausgeschlossen. 
Art. 28.0 
Der Reichslag beschließt nach absoluter Stimmenmehrheit. 
Zur Gültigkeit der Beschlußfassung ist die Anwesenheit der Mehr- 
heit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder erforderlich. 
Bei der Beschlußfassung:) über eine Angelegenheit,) welche 
nach den Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche 
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