Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

116 Gesey, betreffend die Verfassung des deutschen Reichs. Art. 29 u. 30. 
gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur derjenigen Mit- 
glieder gezählt,!) die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen die 
Angelegenheit gemeinschaftlich ist. 
1. Der II. Absaßz wurde mit Nücksicht auf die den einzelnen füd- 
deutschen Staaten zustehenden Ausnahmen in die Verfassung ausgenom- 
men; vergl. hiezu die stenogr. Ber. des nordd. Reichstags II. außerord. 
Session 1870 S. 123 bis 126. 
2. Die in Art. 28 Abs. II enthaltene Ausnahmsbestimmung bezieht 
sich nur auf die Beschlußfassung im Plenum, bei den Berathungen 
im Plenum sowie bei Abstimmungen in Kommissionen können die Ver- 
treter der nichtbetheiligten Staaten mitwirken. 
3. Der Ausdruck „Angelegenheit“ wurde von dem Präsidenten des 
Bundeskanzleramtes in der Sitzung vom 7. Dezember 1870 dahin er- 
läutert, daß „es sich hier nur um solche Gegenstände handle, wo die 
ganze Institution nach der Verfassung nicht gemeinschaftlich ist;“ siehe 
Sten. Ber. S. 125. 
Im deutschen Reichskage wurde die Frage, ob eine bestimmte An- 
gelegenheit als gemeinschaftliche Angelegenheit zu betrachten sei oder nicht, 
zum ersten Male bei Berathung des Gesetzentwurfs betreffend die Ab- 
änderung des Bundeshaushaltsetats pro 1871 angeregt (Stenogr. Ber. 
S. 165 ff., 420 ff.), und hiebei von verschiedenen Seiten anerkannt, 
daß das Budget, auch wenn einzelne Ausgaben nicht allen Staaten ge- 
meinschaftlich seien, doch nicht unter Art. 28 Abs. II subsumirt werden 
könne. 
4. Der Präsident des Bundeskanzleramtes bemerkte hiezu in der 
in vorstehender Note erwähnten Rede: „Wie diese Bestimmung im Reichs- 
tage selbst, wenn ich mich so ausdrücken soll, dramatisch ausgeführt wird, 
das ist hier gar nicht entschieden; die Regierungen haben sich wohl ge- 
hütet, hier eine Bestimmung über die Geschäftsordnung des Reichstags 
treffen zu wollen;" und der Abgeordnete Lasker äußerte hierauf, „man 
könne sich dadurch helfen, daß in allen diesen Fällen namentliche Ab- 
stimmung erfolgt, so daß die äußere Ordnung keinen Schaden erleidet“ 
(Sten. Ber. II. Session 1870 S. 120). 
Art. 29. 
Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten 
Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. 
Art. 30.0 
Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen 
seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes
	        
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