8 Grundzüge des Verfassungsrechls des deutschen Neichs.
insbesondere weder ihre Fortexistenz noch die ihnen sonst verbliebenen
Rechte dem Reiche. Von diesem Gedanken ausgehend bezeichnet auch
die neue Reichsverfassung das deutsche Neich als einen Bund, und die
in demselben vereinigten Staaten als Bundesglieder; es besteht
daher kein Zweifel, daß die Individnalität der Einzelstaaten durch
die Verfassung anerkannt und gewährleistet ist und daß die — wenn
auch im Wege der Reichsgesetzgebung beschlossene Aufhebung dieser In-
dividualität, falls sie wider Willen der Betheiligten erfolgte, einen Ver-
fassungsbruch involoiren würde. Gerade hierin liegt ein wesentklicher
Unterschied des Bundesstaates vom Einheitsstaate, denn mit dem Ins-
lebentreten des letzteren würden die Einzelstaaten, auch wenn sie diesen
Namen beibehielten — ihres staatlichen Charakters entkleidet, und der
Hauptstaat würde jedenfalls fortan als Quelle aller einzelstaatlichen
Rechte anzusehen und demgemäß auch in der Lage sein, dieselben ohne
formellen Rechtsbruch zu beseitigen.
II. Kraft ihres individuellen Rechts sind die einzelnen Staaten
gewissermaßen Mitbesitzer der Sonveränität des Reichs und nehmen
als solche durch ihre Regierungen an den Geschäften des Bundesrathes
Theil, und zwar in der Weise, daß Preußen 17, Bayern 6, Sachsen
und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, Mecklenburg-Schwerin
und Braunschweig je 2 Slimmen führt, während die übrigen Staaten
je 1 Stimme besitzen. Diese im Wesentlichen“") dem Art. 6 der
deutschen Bundesakte von 1815 nachgebildete Slimmenwertheilung ist
das Produkt einer angemessenen Berücksichtigung der realen Machtver-
hältnisse der einzelnen Staaten, und steht daher mit der Idee der
Rechtsgleichheit der einzelnen Staaten kaum im Widerspruche.
Die Individualität der Vundesglieder manifestirt sich ferner mit
Beziehung auf das Bundesrecht in dem Landesindigenate, in der
Einrichtung, daß die Reichsgesetze regelmäßig durch die Landesbehörden
zu vollziehen sind, in dem den Einzelstaaten verbliebenen Gesandt-
schaftsrechte, in dem Rechte der Einzelregierungen (Art. 9 der Ver-
fassung) ihre Anschauungen, auch wenn sie von denjenigen des Bun-
marck im Reichstage 1871, Slien. BVer. S. 95: „die Souveränitst, die Landes-
hoheit und die Territorialhoheit isl bei den einzelnen Staaten verblieben“.
*) Bayern hatte früher nur vier Stimmen und gewann daher zwei
Stimmen.