Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

8 Grundzüge des Verfassungsrechls des deutschen Neichs. 
insbesondere weder ihre Fortexistenz noch die ihnen sonst verbliebenen 
Rechte dem Reiche. Von diesem Gedanken ausgehend bezeichnet auch 
die neue Reichsverfassung das deutsche Neich als einen Bund, und die 
in demselben vereinigten Staaten als Bundesglieder; es besteht 
daher kein Zweifel, daß die Individnalität der Einzelstaaten durch 
die Verfassung anerkannt und gewährleistet ist und daß die — wenn 
auch im Wege der Reichsgesetzgebung beschlossene Aufhebung dieser In- 
dividualität, falls sie wider Willen der Betheiligten erfolgte, einen Ver- 
fassungsbruch involoiren würde. Gerade hierin liegt ein wesentklicher 
Unterschied des Bundesstaates vom Einheitsstaate, denn mit dem Ins- 
lebentreten des letzteren würden die Einzelstaaten, auch wenn sie diesen 
Namen beibehielten — ihres staatlichen Charakters entkleidet, und der 
Hauptstaat würde jedenfalls fortan als Quelle aller einzelstaatlichen 
Rechte anzusehen und demgemäß auch in der Lage sein, dieselben ohne 
formellen Rechtsbruch zu beseitigen. 
II. Kraft ihres individuellen Rechts sind die einzelnen Staaten 
gewissermaßen Mitbesitzer der Sonveränität des Reichs und nehmen 
als solche durch ihre Regierungen an den Geschäften des Bundesrathes 
Theil, und zwar in der Weise, daß Preußen 17, Bayern 6, Sachsen 
und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, Mecklenburg-Schwerin 
und Braunschweig je 2 Slimmen führt, während die übrigen Staaten 
je 1 Stimme besitzen. Diese im Wesentlichen“") dem Art. 6 der 
deutschen Bundesakte von 1815 nachgebildete Slimmenwertheilung ist 
das Produkt einer angemessenen Berücksichtigung der realen Machtver- 
hältnisse der einzelnen Staaten, und steht daher mit der Idee der 
Rechtsgleichheit der einzelnen Staaten kaum im Widerspruche. 
Die Individualität der Vundesglieder manifestirt sich ferner mit 
Beziehung auf das Bundesrecht in dem Landesindigenate, in der 
Einrichtung, daß die Reichsgesetze regelmäßig durch die Landesbehörden 
zu vollziehen sind, in dem den Einzelstaaten verbliebenen Gesandt- 
schaftsrechte, in dem Rechte der Einzelregierungen (Art. 9 der Ver- 
fassung) ihre Anschauungen, auch wenn sie von denjenigen des Bun- 
  
marck im Reichstage 1871, Slien. BVer. S. 95: „die Souveränitst, die Landes- 
hoheit und die Territorialhoheit isl bei den einzelnen Staaten verblieben“. 
*) Bayern hatte früher nur vier Stimmen und gewann daher zwei 
Stimmen.
	        
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