Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

Cesetz, belressend die Verfassung des deutschen Reichs. Ark. 78. 163 
Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerden über verweigerte oder 
gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche 
Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß ge- 
geben hat, zu bewirken. 
XIV. Allgemeine Bestimmung. 
Art. 78.0 
Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetz- 
gebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 
14 Stimmen) gegen sich haben. 
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche be- 
stimmte Rechte?) einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur 
Gesammtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung") des 
berechtigten Bundesstaates abgeändert werden. 
1. Der mit Art. 78 der Reichsverfassung korrespondirende Art. 78 
der norddeutschen Bundesverfassung forderte für Verfassungsänderungen 
eine Mehrheit von zwei Drikteln der im Bundesrathe vertretenen Stimmen. 
Hienach war Preußen mit Rücksicht auf das Verhälktniß der preußischen 
Stimmen zur Gesammtzahl der im Bundesrathe des norddeutschen 
Bundes vertretenen Stimmen im Besitze eines absoluten Veto's gegen 
Verfassungsänderungen. 
Dieses Veto wäre, wenn man den Art. 78 der norddeutschen 
Bundesverfassung nach dem Beitritte der sämmtlichen süddeutschen Staaten 
unverändert gelassen hältte, hinweggefallen, während es nach der neueren 
Fassung aufrecht bleibt. cf. die Aeußerung des Präsidenten des Bundes- 
kanzleramtes in den Reichstagssitzungen vom 7. und 8. Dezember 1870 
(Sten. Ber. S. 129 und 143 
Der Absaß II des Art. 78 der Reichsverfassung war in der nord- 
deutschen Bundesverfassung nicht enthalten. Ueber die Bedentung dieses 
Absatzes vergleiche die Debatte in der Sihung des deutschen Reichstags 
vom 4. April 1871 (Sten. Ber. S. 159 ff.). 
2. Die Frage, ob die Zustimmung zu einer nach Art. 78 Abs. 1 
zu behandelnden Verfassungsänderung von den Landesregierungen in eigener 
Competenz erklärt werden könne, oder ob hiezu eine Ermächtigung der 
gesetzgebenden Faktoren nothwendig sei, ist nach dem Landesrechte der 
Einzelstaaten zu beurtheilen. So lange in einem Staate kein Gesetz 
besteht, worin die Nothwendigkeit einer derartigen Ermächtigung ausge- 
sprochen ist, dürfte die Kompetenz der Landesregierungen zur Abgabe der 
fraglichen Erklärung nicht zu bezweifeln sein, und zwar um so minder, 
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