12 Grundzilge des Verfassungstechts des deutschen Reichs.
Unterstützungswohnsitz in Bayern ohne verfassungsmäßige Zustim-
mung der bayerischen Gesetzgebungsfaktoren nicht eingeführt werden
(Schlußprotokoll Ziff. 1). Eine größere Tragweite wohnt diesem Vor-
behalte nicht inne; derselbe steht sohin namentlich der Gemeinsamkeit
des Indigenats, der Freizügigkeit und der Gewerbefreiheit nicht im
Wege. Frrig ist die Annahme, daß die bayerische Heimat= und Armen-
gesetzgebung gänzlich unverändert bleibt; sie tritt vielmehr in allen deu-
jenigen Beziehungen, in welchen sie mit einzelnen vertragsmäßig nicht
ausgeschlossenen Materien der Reichsgesetzgebung, z. B. mit dem Frei-
zügigkeits= oder Staalsangehörigkeitsgesetze in Widerspruch steht, von
selbst außer Wirksamkeit. Man beabsichtigte augenscheinlich überhaupt mit
jenem Vorbehalte keine principielle Sonderstellung, sondern wollte lediglich
das erst jüngst ins Leben getretene geschlossene Gesetzgebungswerk bezüglich
der socialen Verhältnisse vor einem allzuraschen, der naturgemäßen
Entwickelung voraneilenden äußeren Eingriffe schützen und namentlich
das Gemeindeleben in seinen wichtigsten Beziehungen vor nachtheiligen
Gesetzesschwankungen bewahren. — Was insbesondere die Materie der
Heimat, beziehungsweise des Unterstützungswohnsitzes betrifft, so
gipfelt der ganze Unterschied darin, daß in Bayern die Frage, unter welchen
Voraussetzungen Jemand Armenunterstützung von einer Gemeinde bean-
spruchen könne anders geregelt ist als im Gellungsgebiet des norddeut-
schen Unterstützungswohnsitzgesetzes. Die verschiedenartige Lösung dieser
Frage kann aber, sobald nur daran festgehalten wird, daß jeder
Deutsche allenthalben und ohne lästige Bedingungen sich aufhalten darf
wo er will, und im Bedürfnißfalle die nöthige Unterstützung erhält,
der Reichseinheit keinen Abbruch thun*) und hätte — wie auch in
dem ursprünglich dem Reichstage vorgelegten Entwurfe eines Unter-
stützungswohnsitzes geschehen — füglich der Landesgesetzgebung überlassen
bleiben können. Da in Bayern nicht bloß die Gesetze über die Frei-
zügigkeit und die Bundes= und Staatsangehörigkeit eingeführt, sondern
*) Innerhalb Bayerns bestanden von jeher verschiedene Systeme des Heimat-
erwerbs, da die sociale Entwicklung in den einzelnen Landeslheilen verschieden ist;
mit Rücksicht hierauf hat man namentlich erst im Jahre 1868 der Rheinpfalz
eine besondere Stellung eingeräumt; Bayern hat sohin vom Bunde Nichts an-
deres verlangt, als was es seinen eigenen Provinzen freiwillig gewährle, nemlich
eine ensprechende Berücksichligung der spccifisch lokalen Verhälinisse.