14 Grundzluge des Verfassungsrechls des deutschen Reichs.
wohl durch eine irrige Auffassung des in den Vorbehalt mit hinein-
gezogenen Ausdruckes „Niederlassungsverhältnisse“ hervorgerufen. Be-
sieht man sich jedoch die Bestimmungen der Art. 3 und 4 Ziff. 1 der
Verfassung näher, so wird man finden, daß mit jenem Ausdrucke,
welcher überdieß mit dem Worte „Heimat“ in die engste Verbindung
gebracht ist, nur diejenigen Beziehungen getroffen werden wollten, welche
sich in Folge der Niederlassung zwischen der Gemeinde und dem
Einzelnen hinsichtlich des Heimaterwerbs und der hiemit
zusammenhängenden Ehebeschränkungen dann des Gemeinde-
bürgerrechts im engeren Sinne ergeben, daß aber das Recht auf freie
Niederlassung und die hiemit zusammenhängenden Rechte in Bezug auf
Indigenat und Erwerbsfreiheit keinesfalls unter den kritischen Ausdruck
„Heimats= und Niederlassungsverhällnisse“ subsumirt werden können, da ja
alle diese Dinge in Art. 3 der Verf. und durch den in Art. 4 Ziff. 1 zuerst er-
wähnten Begriff „Freizügigkeit“ erledigt sind. Ossenbar wurde der Ausdruck
„Niederlassungsverhältnisse“ nur deßhalb in die bayrischen Vorbehalte her-
übergenommen, weil er einerseits nach der Redaktion der Bundesverfassung
zu Einem Worte mit dem Ausdruck „Heimat“ vereinigt war und
weil man andererseits früher gerade hieraus die Kompetenz des Bun-
des zur Aufhebung der polizeilichen Ehebeschränkungen") abgeleitet hatte
(vergl. Stenogr. Berichte des Nordd. Neichstags 1868 Bd. 2 S. 69).
Anspruchs auf Armenunlerstügung in der Aufenthaltsgemeinde bildet kein wesent-
liches Attribul des Freizügigleilsrechles und es wird daher sowohl in der Reichs-
verfassung als im Freizilgigkeilsgeselze zwischen Freizügigkeitsrecht und Heimat
(Unterstüggungswohnsit) unterschieden. Wäre die Anschauung Auerbachs richtig,
so bestünde weder in Großbritlanien noch in Amerika ein gemeinsames Frei-
zügigkeitsrecht, denn in Amerika zieht der Aufenthalt keineswegs den Anspruch
auf Armenunterstügung nach sich, und in Großbrillanien wurden erst in den letz-
ten Decennien verschiedene Heimakgeselze für England, Irland und Schottland emanirt.
Unbegründet ist ferner das Urtheil Auerbachs über die bayrische Gemeinde-
ordnung; dieselbe ist im großen Ganzen liberaler als irgend eine andere deulsche
Gemeindegesetzgebung und nur in der Materie des Bürgerrechts= und Heimal-
erwerbs gingen die Kammern im Gemeindeinteresse elwas gar zu ängstlich zu
Werke, indem sie die liberaleren und einfacheren Vorschläge des Regierungsent-
wurfs nicht adoplirten.
*) Die in Bayern zur Zeil in den älteren Landestheilen bestehenden Ehe-
beschränkungen sind sehr unbedeutend und nur wegen der Ordnung der Heimatsverhäll-
nisse von cinigem Werthe; principiell besteht auch in Bayern Verehelichungsfreiheit.