Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

226 Gesetz über die Freizügigleit. § 1. 
daß schon ein „Unterkommen“ z. B. eine Schlafstelle, welche als eigene Woh- 
nung nicht angesehen werden kann, genügen soll, um den Anziehenden 
gegen seine Ausweisung zu schützen.“ — In ähnlicher Weise ist der 
Ausdruck „Unterkommen“ auch in Ziff. 3 der im Anhange dieses Ab- 
schnitts abgedruckten bayrischen Vollzugsentschließung vom 4. Mai 1868 
erläutert, was um so nothwendiger war, als der Ausdruck „Unterkom- 
men“ in Bayern gewöhnlich eine andere auf die Subsistenzverhältnisse 
bezügliche Bedeutung hat. 
b. Da die Möglichkeit, sich eine eigene Wohnung oder ein Unter- 
kommen zu verschaffen eine Voraussetzung des Aufeuthaltsrechts bildet, 
so muß dieselbe auf Verlangen der Polizeibehörde nachgewiesen werden; 
selbstverständlich ist aber ein solches Verlangen nur bei besonderem An- 
lasse zu stellen. 
6. Das Freizügigkeitsgesetz befaßt sich nicht mit den allgemeinen 
Voraussetzungen der Zulassung zum Gewerbebetriebe, sondern wiederholt 
nur die in Art. 3 der Reichsverfassung und Art. 26 des Zollvereins- 
verkrags vom 8. Juli 1867 ausgedrückten Grundgedanken in elwas er- 
weiterter Form; demgemäß kann der Deutsche auf Grund des Freizügig- 
keitsgesetzes lediglich verlangen, daß er in Ansehung des Gewerbebekriebes 
nicht schlechter gestellt werde, als ein Angehöriger des betreffenden Staa- 
tes oder Ortes. Wenn für die Angehörigen eines Staates zur Ausüb- 
ung eines Erwerbszweiges beslimmte Vorbedingungen nothwendig erklärt 
sind, was z. B. sowohl nach der norddeutschen als nach der bayrischen 
Gewerbeordnung bezüglich des Hausirhandels der Fall ist, so muß auch 
der Angehörige eines anderen Bundesstaates diesen speciellen Vorbeding- 
ungen genügen, jedoch ist jeder Staat gehalten, jeden Deutschen zur Er- 
füllung dieser Vorbedingungen zuzulassen. Aehnlich verhält es sich zur 
Zeit noch mit der Ausübung des ärztlichen Berufs; hiezu ist nach der 
norddeutschen Gewerbeordnung der Besit einer nach Maßgabe der letzte— 
ren erlangten Approbation, nach den bayrischen Medicinalberordnungen 
aber das Bestehen einer Staatsprüfung erforderlich; ein Bayer kann dem- 
nach nur verlangen, daß er in Norddeutschland zur Erfüllung der für 
die Approbation vorgeschriebenen Voraussetzungen zugelassen werde, und 
ebenso kann ein Norddentscher in Bayern lediglich die Zulassung zur me- 
dicinischen Staatsprüfung beanspruchen; das Recht zur Ausübung der 
Praxis aber wird, insoferne nicht eine Dispensation staktfindet, in dem 
einen, wie in dem anderen Falle erst erlangt, wenn den speciellen Lan- 
desvorschriften Genüge geleistet wurde. 
7. Das Gesetz will die aus der Freizügigkeit fließenden Rechte dem 
willkührlichen Ermessen der Polizeibehörden entrücken; dem Bundesange- 
hörigen darf sohin weder die Wahl eines Aufenthaltsortes im Voraus 
verboten, noch der einmal gewählte Aufenthalt entzogen werden. Eine 
Ausnahme von diesem Grundsatze soll nur auf Grund der im Freizügig-
	        
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