Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

Geset Über die Freizügigkeit. § 4. 233 
höheren staatspolizeilichen Gründen und eben deßhalb nicht ex olfieio, 
sondern nur auf Antrag der betreffenden Gemeinde. 
Aus dem Zwecke der §§ 4 und 5 ergiebt sich, daß die Versagung 
des Aufenthaltes auf Antrag der betheiligten Gemeinde staktfinden muß, 
wenn die im Gesetze angeführten Voraussetzungen erwiesen worden sind. 
Zur Stellung solcher Anträge sind in Bayern in Gemeinden mit städti- 
scher Verfassung die Magistrate, in den übrigen Gemeinden die Gemeinde- 
räthe resp. Gemeindeausschüsse berusen. 
2. Nach den in Bayern bestehenden Kompetenzverhältnissen können 
nur die einer Kreisregierung unmittelbar untergeordneten Magistrate mit 
Ausnahme des Magistrats von München die Abweisung eines Neuan- 
ziehenden in eigener Zuständigkeit verfügen; in München werden derartige 
Verfügungen auf Antlrag des Magistrales von der k. Polizeidirektion ge- 
troffen, und die übrigen Gemeinden haben sich an das ihnen vorgesetzte 
Bezirksamt zu wenden. Beabsichtigt eine Gemeinde von der ihr in § 4 
des Freizügigkeitsgesetzes eingeräumten Besugniß Gebrauch zu machen, so 
hat sie dieß sofor! beim Beginne des Aufenthaltes des Betreffenden zu 
thun, da außerdem die Bestimmungen des § 5 Platz greifen. 
3. a. Der den Gemeinden obliegende Nachweis erstreckt sich ledig- 
lich darauf, daß der Neuanziehende nicht hinreichende Kräfte besitzt, 
um sich und seine nichtarbeilssähigen Angehörigen nothdürftig zu 
ernähren; dem Betresffenden ist dagegen überlassen, seinerseits nachzuweisen, 
daß er die erforderlichen Unterhaltsmittel enlweder selbst besitzt, oder von 
alimentationspflichtigen Verwandten erhält. Darauf, ob der Neuanziehende 
früher irgendwo Armennunterstützung bezogen hat, kommt es in den Fällen 
des § 4 nicht an, sondern es entscheidet lediglich der zur Zeit des Ein- 
zugs bestehende Mangel an hinreichenden Kräften und Milteln. Beie 
der Beurtheilung der Frage, ob ein solcher Mangel gegeben sei, wird 
jedoch der Umstand, daß sich die betreffende Person schon früher nicht 
ernähren konnte, von wesentlichem Einfluße sein. 
b. Es ist klar, daß die Gemeinde den Antrag auf Abweisung eines 
Neuanziehenden substanziren d. h. sofort mit den entsprechenden Thatsachen 
begründen muß. Bei der Beweiserhebung haben die bayrischen Behörden 
im Hinblick auf die für das Verfahren in Administrativsachen bestehenden 
Normen auch die von der antragstellenden Gemeinde nicht direkt beige- 
brachten, aber sonst zur amtlichen Kenntniß gelangten Beweisbehelfe mit 
in Betracht zu ziehen. — Eines weitwendigen Beweises bedarf es über- 
haupt nicht, wenn der Anziehende nicht nachweisen kann, daß er sich eine 
eigene Wohnung oder ein Unlerkommen zu verschaffen im Stande ist (§ 1 
Ziff. 1 des Gesehees). 
4. Das Ve#mögen wird als hinreichend zu erachlen sein, wenn es 
zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für die nächste Zeit genügt, da die
	        
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