Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

238 Gesetz Uber die Freizllgigkeit. 8 8. 
88. 
Die Gemeinde ist nicht befugt, von neu Anziehenden wegen 
des Anzugs eine Abgabe!) zu erheben. Sie kann dieselben, 
gleich den übrigen Gemeindeeinwohnern, zu den Gemeindelasten 
heranziehen. Uebersteigt die Dauer des Aufenthalts nicht den 
Zeitraum von drei Monaten,!) so sind die neu Anziehenden 
diesen Lastens) nicht unterworfen. 
1. Die bayrischen Heimatgebühren werden nicht wegen des Einzugs 
in die Gemeinde, sondern wegen des definitiven Eintritts in den Ge- 
meindeverband, mit welchem regelmäßig verschiedene Nutzungsbefugnisse 
verbunden sind, erhoben; sie bleiben daher von § 8 des Freizügig- 
leitsgesetzes unberührt, und zwar um so mehr, als in Bayern Nie- 
mand genöthigt werden kann, die Heimat zu erwerben und demgemäß 
Jedermann in der Lage ist, sich ohne Bezahlung irgend einer 
Gebühr so lange als er will in einer Gemeinde auszuhallen und die 
öffentlichen Gemeindeanstalten zu benützen, sowie überhaupt von dem reichs- 
gesetzlich gewährleisteten Freizügigkeitsrechte Gebrauch zu machen. Die 
Frage, ob in Bayern fortan von Angehörigen anderer Bundesstaaten 
keine höheren Heimatgebühren erhoben werden dürfen, als von Angehörigen 
des bayrischen Staates ist im Wesentlichen gegenstandslos, da der Er- 
werbung der Heimat die Aufnahme vorausgehen muß und sonach die 
Heimalverleihung thatsächlich nur an Inländer stattsindet. Deögleichen 
findet die Bestimmung in Art. 11 Abs. III, wonach bayrische Staats- 
angehörige das Heimatrecht unentgeltlich erlangen, wenn sic während voller 
10 Jahre in der Gemeinde als Dienstboten, Gewerbsgehilfen, Fabrikar- 
beiter oder Lohnarbeiter sich ernährt haben und zu einer Freiheitsstrafe 
nicht verurtheilt worden sind, für die Folge auch auf Angehörige anderer 
Bundesstanten Anwendung. 
2. Die Lastenfreiheit besteht nur, wenn der Betreffende vor 
Ablauf von drei Monaten wieder aus der Gemeinde weggezogen ist; ver- 
bleibt er über diesen Zeitraum hinaus in der Gemeinde, so ist die Kon- 
kurrenzpflicht vom Tage des Einzugs an, d. h. wie der Kommissionsbe- 
richt vom 17. Oklober 1867 (Anlagen zu den Sten. Ber. S. 189) 
sich ausdrückle, er tunc zu berechnen, und der Betreffende hat alsdann 
die Lasten für die ersten drei Monate nachträglich zu entrichten. 
In Bayern entsteht übrigens die Verbindlichkeit zur Entrichtung 
von Gemeindenumlagen erst dann, wenn der Betreffende mit einer direkten 
Staatssteuer in der Gemeinde angelegt ist; die Vorschrist in § 8 des 
Freizügigkeilsgesetzes wird sohin, da eine solche Veranlagung wohl selten 
vor drei Monaten erfolgt, auch nicht häufig praktisch werden; vergleiche
	        
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