Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

2 Grundzüge des Verfassungsrechls des deutschen Neichs. 
verleibt, Bayern, Württemberg, Baden und Südhessen blieben einstweilen 
für sich, und die übrigen deutschen Staaten schlossen auf Veranlassung 
Preußens den norddeutschen Bund, dessen Verhältnisse durch die im 
Jahre 1867 unter Milwirkung einer constituirenden Versammlung von 
Volksvertretern zu Stande gekommene Verfassung geregelt wurden. 
Die Trennung der süddeutschen Staaten von den norddeutschen 
war übrigens keine vollständige; das Bewußtsein der Zusammengehörig= 
keit und die Gemeinsamkeit der materiellen Interessen führten unmittel- 
bar nach der Auflösung des früheren deutschen Bundes zum Abschlusse 
von Schutz= und Trutzbündnissen") und zur Erneuerung des Zoll- 
vereins. Durch die ersteren verbanden sich die deutschen Fürsten nicht 
bloß zur gemeinschaftlichen Abwehr der von Außen drohenden Gefahren, 
sondern übertrugen auch für den Kriegsfall den Oberbefehl über die 
sämmtlichen deutschen Streilkräfte an die Krone Preußen; in dem Zoll- 
vereinsvertrage vom 8. Juli 1867 aber haben die Einzelregierungen 
einen Theil ihrer Regierungsrechte in Bezug auf das Zoll= und Handels- 
wesen und die indirekten Steuern an den Zollbundesrath, und die 
Einzellandtage ihr Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung über jene 
Materien an ein vom Volke direkt bestelltes Organ — das deutsche 
Zollparlament — wenn auch nur durch internationale Verträge und 
auf bestimmte Zeitdauer — abgetreten. 
Der hiedurch geschaffene Zustand konnte kein definitiver sein, denn 
den Schutz= und Trutzbündnissen mangelten die nöthigen Garantien in 
Bezug auf das Wollen und Können der Erfüllung, über dem Zoll- 
vereine aber schwebte fortwährend das Damoklesschwert der Kündigung. 
Nichts war daher natürlicher, als das Streben nach einer festeren Ge- 
staltung der Dinge und die Gelegenheit hiezu ergab sich früher, als 
man erwartete; sie wurde herbeigeführt durch denjenigen Staat, welcher 
seit Jahrhunderten Zwietracht unter den deutschen Stämmen gesät und 
das alte deutsche Reich in Trümmer geschlagen halle, durch Frankreich. 
  
*) Diese Schutz= und Truchbündnisse sind in ihrem Wortlaute identisch, 
und für Württemberg vom 13. August, für Vaden vom 17. August und für 
Bayern vom 22. August 1866 dalirt. Die Veröffentlichung erfolgte zunächst 
von Bayern und zwar am 19. März 1867. Vgl. den europsischen Geschichts- 
kalender von Schultheß Jahrgang 1866, S. 459.
	        
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