Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

Gesetz, betressend die Versassung des deulschen Reichs. 77 
ren deutschen Staate eine Realunion?) einzugehen befugt sei. Von der 
einen Seite wird dieß als eine nur mit Zustimmung aller Betheiligten 
zulässige Aenderung des Grundvertrags angesehen, während von der an- 
deren Seite behauptet wird, daß es sich in einem solchen Falle nur um 
eine einfache Verfassungsänderung handle und daher lediglich die hiefür 
vorgeschriebenen Formalitkäten erforderlich seien; vergl. von Nönne in 
Hirth's Annalen Bd. IV S. 58 ff. und Thudichum S. 62 Note 3. 
Das Recht der einzelnen Staaten dagegen, ihre Verfassungs= und Regie- 
rungsform unter Fortdauer ihrer Individualität zu ändern 
oder einzelne Hoheitsrechte an andere Staaten abzutreten, sowie die Thron- 
solgeverhältnisse der Bundesstaaten werden durch das Bundesverhältniß 
keinesfalls berührt, das Reich hat daher auch kein Mitwirkungsrecht, wenn 
ein deutscher Staat z. B. in Folge seiner Successionsordnung in Per- 
sonalunion mit einem anderen deutschen oder einem auswärtigen Staate 
tritt; vergl. stenogr. Ber. des const. Reichst. 1867 S. 227 ff. u. 232. 
b. Unter den Verhältnissen, unter denen die Verträge mit den 
süddeutschen Staaten zu Stande kamen, war es nicht wohl möglich, alle 
Consequenzen der neuen Schöpfung sofort und umfassend zu ziehen und 
festzustellen. Indem man den Art. 79 der norddeulschen Bundesverfass- 
ung und diese selbst zum Ausgangspunkte nahm, hat man zwar unzwei- 
felhaft dokumentirt, daß das neue Reich nur gewissermassen eine Erwei- 
terung des bisherigen Bundes sein solle, allein hicraus folgt nicht noth- 
wendig, daß dasselbe Universalsuccessor des norddeutschen Bundes gewor- 
den sei, und zwar um so minder als die Verfassung innerhalb des Reichs 
eine Anzahl von Gegenständen kennt, welche nicht allen Bundesstaaten 
gemeinsam sind (Art. 7 u. 28 der Verf.). Es entsteht daher die prak- 
tisch wichtige Frage, in wie weit die süddeulschen Staaten und resp. das 
neue Reich an dem vorhandenen Vermögensstande des norddeutschen Bun- 
des theil haben, und in wie weit sie zu den noch ungelösten Verbindlich- 
keiten, welche derselbe eingegangen hat, concurriren müssen; (vergl. hiezu 
die Verhandlungen des nordd. Reichtags 1870 II. ord. Session, stenogr. 
Ber. S. 132 u. 133.) Diese Frage trat sofort bei Aufstellung des 
Reichshaushaltselats pro 1871 in den Vordergrund; man hat sie jedoch 
principiell nicht gelöst, sondern die Concurrenz der süddeutschen Staaten 
im Wege freier Vereinbarung von Fall zu Fall festgestellt, indem die 
süddeutschen Staaten namentlich in Bezug auf die Ablösung der Elbzölle 
(Ges. vom 11. Juni 1870) erklärten, daß sie hiezu beitragen wollten, 
um den Wünschen der norddeutschen Staaten entgegenzukommen und um 
ihrer Bereitwilligkeit zur Förderung der gemeinsamen Zwecke Ausdruck zu 
geben. — Der Reichstags erklärte sich damit einverstanden, der Bericht- 
erstatter bemerkte jedoch, die Kommission sei sich klar gewesen, „daß nach 
*) Vergleiche hiezu auch die Bemerkung zu Art. 1 der Verf. Note 2.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.