Gesetz, betressend die Versassung des deulschen Reichs. 77
ren deutschen Staate eine Realunion?) einzugehen befugt sei. Von der
einen Seite wird dieß als eine nur mit Zustimmung aller Betheiligten
zulässige Aenderung des Grundvertrags angesehen, während von der an-
deren Seite behauptet wird, daß es sich in einem solchen Falle nur um
eine einfache Verfassungsänderung handle und daher lediglich die hiefür
vorgeschriebenen Formalitkäten erforderlich seien; vergl. von Nönne in
Hirth's Annalen Bd. IV S. 58 ff. und Thudichum S. 62 Note 3.
Das Recht der einzelnen Staaten dagegen, ihre Verfassungs= und Regie-
rungsform unter Fortdauer ihrer Individualität zu ändern
oder einzelne Hoheitsrechte an andere Staaten abzutreten, sowie die Thron-
solgeverhältnisse der Bundesstaaten werden durch das Bundesverhältniß
keinesfalls berührt, das Reich hat daher auch kein Mitwirkungsrecht, wenn
ein deutscher Staat z. B. in Folge seiner Successionsordnung in Per-
sonalunion mit einem anderen deutschen oder einem auswärtigen Staate
tritt; vergl. stenogr. Ber. des const. Reichst. 1867 S. 227 ff. u. 232.
b. Unter den Verhältnissen, unter denen die Verträge mit den
süddeutschen Staaten zu Stande kamen, war es nicht wohl möglich, alle
Consequenzen der neuen Schöpfung sofort und umfassend zu ziehen und
festzustellen. Indem man den Art. 79 der norddeulschen Bundesverfass-
ung und diese selbst zum Ausgangspunkte nahm, hat man zwar unzwei-
felhaft dokumentirt, daß das neue Reich nur gewissermassen eine Erwei-
terung des bisherigen Bundes sein solle, allein hicraus folgt nicht noth-
wendig, daß dasselbe Universalsuccessor des norddeutschen Bundes gewor-
den sei, und zwar um so minder als die Verfassung innerhalb des Reichs
eine Anzahl von Gegenständen kennt, welche nicht allen Bundesstaaten
gemeinsam sind (Art. 7 u. 28 der Verf.). Es entsteht daher die prak-
tisch wichtige Frage, in wie weit die süddeulschen Staaten und resp. das
neue Reich an dem vorhandenen Vermögensstande des norddeutschen Bun-
des theil haben, und in wie weit sie zu den noch ungelösten Verbindlich-
keiten, welche derselbe eingegangen hat, concurriren müssen; (vergl. hiezu
die Verhandlungen des nordd. Reichtags 1870 II. ord. Session, stenogr.
Ber. S. 132 u. 133.) Diese Frage trat sofort bei Aufstellung des
Reichshaushaltselats pro 1871 in den Vordergrund; man hat sie jedoch
principiell nicht gelöst, sondern die Concurrenz der süddeutschen Staaten
im Wege freier Vereinbarung von Fall zu Fall festgestellt, indem die
süddeutschen Staaten namentlich in Bezug auf die Ablösung der Elbzölle
(Ges. vom 11. Juni 1870) erklärten, daß sie hiezu beitragen wollten,
um den Wünschen der norddeutschen Staaten entgegenzukommen und um
ihrer Bereitwilligkeit zur Förderung der gemeinsamen Zwecke Ausdruck zu
geben. — Der Reichstags erklärte sich damit einverstanden, der Bericht-
erstatter bemerkte jedoch, die Kommission sei sich klar gewesen, „daß nach
*) Vergleiche hiezu auch die Bemerkung zu Art. 1 der Verf. Note 2.