Full text: Die Reichsverfassungsurkunde vom 16. April 1871.

92 Gesetz, bekressend die Verfassung des deulschen Reichs. Art. 4. 
Reichs oder wenigstens unter der obersten Leitung derselben, so wird das 
Aufsichtsrecht des Kaisers in den Vordergrund treten; ist dagegen der 
Vollzug von Reichsgesetzen den Einzelstaaten überlassen, so wird die Ab- 
stellung wahrgenommener Mängel zunächst dem Bundesrathe obliegen. 
Besonders betont ist das Aufsichtsrecht des Kaisers in Betreff der Zölle 
und Verbrauchsstenern, der Post= und Telegraphenverwaltung, der Ma- 
rine, des Konsulatswesens und der Militärangelegenheiten; vergl. hiezu 
oben die erste Abtheilung § 3 Ziff. V und § 8 Ziff. II. 
3. Das Reich hat von seiner Gesehgebungstefunts, wie aus den 
solgenden Noten und den außerdem noch zu erwähnenden Gesetzen über 
die Pensionen und Unterstützung der Angehörigen der vormals schleswig- 
holsteinischen Armee vom 14. Juni 1868 und 3. März 1870, dann 
dem Reichstagswahlgesetze vom 31. Mai 1869, dem Gesetze über die 
Kautionen der Bundesbeamten vom 2. Juni 1869, und denu verschiedenen 
Haushalts-, Anleihe= und Garantiegesetzen") hervorgeht, bereits einen um- 
fassenden Gebrauch gemacht. Ueber die Faltoren der Reichsgeseßgebung, 
daunn das Verhällniß der letzteren zur Landcsgesetzgebung, vergleiche oben 
die Erörterungen in der ersten Abtheilung § 7 und die Bemerkungen zu 
Art. 2 Note 2 ff. der Verfassung- 
4. Gesetz über die Freizügigteit vom 1. November 1867, und 
Gesetz über die Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870. 
5. Gesetz über den Unterstüstzungswohnsitz vom 6. Juni 1870; 
zur Zeit in Bayern, Würltemberg und Baden nicht eingeführt; ferner 
Gesetz über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließ- 
ung vom 4. Mai 1868, welches jedoch in Bayern nicht gilt; vergleiche 
hiezu r Note 11. 
6. Siehe das Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der 
Bundes= und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 und das Gesetz 
betreffend die Einführung norddeutscher Gesetze in Bayern vom 21. April 
1871 89 und 12, worin § 1 Absatz 2, § 8 Absatz 3 und § 16 
des ersteren Gesetzes für das ganze Reich außer Wirksamkeit gesetzt wur- 
den; ferner das Geset über die Gleichberechtigung der Confessionen in 
bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung vom 3. Juli 1869. — 
Die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung in Bezug auf das Bundes- 
staatsbürgerrecht ist unbestreitbar; was dagegen die Gesetzgebungsbesugniß 
des Reiches hinsichtlich des Einzel staatsbürgerrechts betrifft, so wurde 
in der auf Anregung des norddeutschen Reichstags verbesserten Ziff. II 
des bayrischen Schlußprotokolls anerkannt: „daß unter der Gesetzgebungs- 
befugniß über Staatsbürgerrecht nur das Recht verstanden werden soll, 
die Bundes= und Staatsangehörigkeit zu regeln und den Grundsatz der 
politischen Gleichberechtigung durchzuführen, daß sich im Uebrigen diese 
*) Siehe die in der dritten Abtheilung Abschn. Idieser Schrift enthaltene Uebersicht.
	        
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