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gegenwärtig im Bundesrate üben. Die wesentlichsten Regie=
rungsrechte der Bundesstaaten würden von einem Reichs=
ministerium absorbiert werden, dessen Tätigkeit durch die Art
der ihm auferlegten Verantwortlichkeit dem maßgebenden Ein=
flusse der jedesmaligen Majorität des Reichstags unterliegen
müßte.“ Es wird dann ausgeführt, daß die Unterwerfung der
Regierungsgewalt unter den Reichstag das zweifellose Ziel der
Fortschrittspartei sei, daß aber die preußische Regierung eine
solche Verschiebung des Schwerpunktes der Regierungsgewalt
für eine sichere Einleitung zum Zerfall des Reiches halten würde.
Und dann folgt ein lapidarer Satz: „Die Regierung eines
großen Volkes durch die Mehrheit einer gewählten Ver=
sammlung ist untrennbar von all' den Schäden und
Gefahren, an welchen ein jedes Wahlreich nach den
Erfahrungen der Geschichte zu Grunde geht.“ Parla=
mente, die aus allgemeinen Wahlen hervorgehen, unterliegen der
Neigung, „die Bedürfnisse des Landes dem Bedürfnisse des
Gewähltwerdens unterzuordnen“.
Die preußische Regierung bekannte sich hiernach zu der Über=
zeugung, daß der Gedanke der Errichtung eines verantwortlichen
Reichsministeriums im Interesse des Reiches, seiner Verfassung
und der Sicherheit seines Fortbestandes, wo immer er auftrete,
zu bekämpfen sei. Alle Bundesregierungen ohne Ausnahme
schlossen sich dieser Erklärung an.
Die Stellung des Bundeskanzlers besprach der damalige
Graf Bismarck 1869 bei Beratung des bereits mehrerwähnten
Antrages Twesten=Münster, wie folgt:
„Die Herren nehmen den Bundeskanzler für einen Bundes=
minister. Der Bundeskanzler ist nur Präsidialbeamter; er hat
die Verantwortung für alle Handlungen des Präsidiums. Seine
Mitwirkung bei der Gesetzgebung ist gleich null. In der Gesetz=
gebung wirke ich nur als preußischer Bevollmächtigter zum
Bundesrate mit und führe dort die preußischen Stimmen; das
könnte aber ebenso gut in der Hand eines andern liegen, als in
der Hand des Bundeskanzlers. Es wäre das vielleicht zweck=