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lebendigen Organismus des deutschen Bundesrates paßten. Daß
eine Majorisierung der größeren Staaten durch die kleineren mög=
lich ist, läßt sich ohne Änderung der Reichsverfassung, welcher
die größten Schwierigkeiten entgegenstehen, nicht hindern; daß
aber eine solche Majorisierung durch Regierungen, welche als ab=
wesende nichts hören und nichts hören wollen, zustande gebracht
wird, diesem Übelstand ließ sich durch Reform der Geschäfts=
ordnung entgegenwirken, wodurch die Substitution, wenigstens
für alle wichtigeren Fragen, für ungiltig erklärt werden konnte.
Darauf wies auch die Antwort Kaiser Wilhelms I. vom
7. April auf das Entlassungsgesuch Bismarcks hin ²⁵). Dieselbe
lautete:
„Auf Ihr Gesuch vom 6. April erwidere ich Ihnen, daß
Ich die Schwierigkeiten zwar nicht verkenne, in welche ein
Konflikt der Pflichten, welche Ihnen die Reichsverfassung auf=
erlegt, Sie mit der Ihnen obliegenden Verantwortlichkeit bringen
kann, daß Ich Mich aber dadurch nicht bewogen finde, Sie Ihres
Amtes nur deshalb zu entheben, weil Sie glauben, der Ihnen
durch die Artikel 16 und 17 ²⁶) der Reichsverfassung zugewiesenen
Aufgabe in einem bestimmten Falle nicht entsprechen zu können.
Ich muß Ihnen vielmehr überlassen, bei Mir und demnächst
beim Bundesrate diejenigen Anträge zu stellen, welche eine ver=
fassungsmäßige Lösung eines derartigen Konfliktes der Pflichten
herbeizuführen geeignet sind.“
Um eine sachliche Korrektur des Bundesratsbeschlusses vom
3. April eintreten zu lassen, beantragte in der Sitzung vom
²⁵) efr. Seite 17 ff.
²⁶) Art. 16 der „R. V.“ lautet: „Die erforderlichen Vorlagen werden
nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrates im Namen des Kaisers an den
Reichstag gebracht, wo sie durch Mitglieder des Bundesrates oder durch be=
sondere von letzterem zu ernennende Kommissare vertreten werden.“
Art. 17 der „R. V.“ lautet: „Dem Kaiser steht die Ausfertigung
und Verkündigung der Reichsgesetze und die Überwachung der Ausführung der=
selben zu. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers werden im Namen
des Reichs erlassen und bedüfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des
Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.“