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selbständige Stellung und das Recht freier Abstimmung habe.
Der Satz paßt auf alle Minister, die ein Ressort haben, aber
nicht auf diejenigen Reichsbeamten, die lediglich zur Unterstützung
der Reichspolitik als Beistände des Reichskanzlers bei Ab= oder
Anwesenheit ihres Vorgesetzten zu preußischen Staatsministern
ernannt worden sind. Wenn der offiziöse Artikel damit schließt,
daß „beide Staatssekretäre“ in wichtigen Einzelfragen im preußi=
schen Staatsministerium abweichend von dem Reichskanzler ge=
stimmt hatten, so ist das eine Unwahrheit insofern, als der
Staatssekretär des Auswärtigen dabei mit einbegriffen erscheint;
und daß der Staatssekretär des Innern gegen den Reichskanzler
gestimmt hat, trifft doch nur für die letzte Staatsministerial=
sitzung zu, nachdem dem ersten Reichskanzler die Kaiserliche Auto=
rität nicht mehr zur Seite stand, und belastet nur Herrn
v. Boetticher. Hierin wurzelt, wie wir glauben, die Kritik, die
von seiten des ersten Reichskanzlers das Verhalten des genannten
Staatssekretärs treffen mag.“
Interessant in Beziehung auf die Stellung der Staats=
sekretäre ist ein Aufsatz, den Herr von Poschinger über Delbrück
und seinen Nachfolger Hofmann vor Jahren in der „Deutschen
Revue“ veröffentlichte:
„Der Abgang Delbrücks bedeutete mehr als die bloße Er=
ledigung der Präsidentschaft im Reichskanzleramt; es war damit
ein gewaltiges Vakuum entstanden, welches sich nach dem be=
kannten physikalischen Gesetze ausfüllen mußte. Eine Kraft,
welche Delbrück mit all seinen Kenntnissen, Beziehungen und
Erfahrungen vollständig hätte ersetzen können, war nicht vor=
handen; so wurde denn zu seinem Nachfolger eine Persönlichkeit
auserwählt, welche wenigstens zur Führung der Geschäfte des
Reichskanzleramtes geeignet erschien, der großherzoglich hessische
Staatsminister Hofmann, ehedem hessischer Bevollmächtigter beim
Bundesrat. Es wird behauptet, daß Delbrück selbst ihn dem
Reichskanzler zu seinem Nachfolger vorgeschlagen habe.
Die Schwierigkeit der Verhältnisse, unter denen der neue
Präsident des Reichskanzleramts die Erbschaft Delbrücks antrat,