Der Reichstag.
Der Reichstag ist die Vertretung des deutschen Volkes.
Die Gesamtheit der Angehörigen des Reichs besitzt in ihm ein
bestimmtes Organ zur Wahrung und Verwirklichung der ihr als
solcher zustehenden politischen Rechte. Das deutsche Reich ist nicht,
wie der vormalige deutsche Bund, ein bloßer Staatenbund, welcher
weder Bundesangehörige (Untertanen, Staatsbürger), noch eine
sounveräne Staatsgewalt besaß und daher auch ein Parlament nicht
haben konnte; sondern das Reich ist ein Bundesstaat und bedurfte
daher eines solchen Organes seiner Angehörigen, durch welches
der staatliche Charakter des Reiches und die konstitutionelle Ein=
richtung desselben gesichert wurde. Der Reichstag des deutschen
Reiches ist also ein dem allgemeinen Landtage der preußischen
Monarchie analoges einheitliches Organ, welches, in Anerkennung
eines gemeinsamen Indigenats aller Angehörigen des Reiches
und einer sonveränen Gewalt des Reiches, die Gesamtheit der
Bundesangehörigen als eine Einheit darstellt. Der Reichstag
repräsentiert das Volk, und zwar das ganze Volk des deutschen
Reiches in allen seinen Bestandteilen, und daher hat denn auch
die Reichsverfassung in Art. 29 vorgeschrieben, „daß die Mit=
glieder des Reichstages Vertreter des gesamten Volkes“ und
„daß sie an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden sind ³¹).“
Alle Reichsgesetze sind an die Zustimmung des Reichstages
gebunden. Auch gebührt ihm die Kontrolle der Jahresrechnung.
³¹) efr. Rönne „Das Verfassungsrecht des deutschen Reiches“, historisch=
dogmatisch dargestellt. Leipzig, F. A. Brockhaus.