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kommen ist, wie er hier vorliegt, dann treten Herren, die von
allen diesen Kämpfen wenig erfahren haben, von den amtlichen
Vorgängen nichts wissen können, in einer Weise auf, die ich nur
damit vergleichen kann, daß jemand in meine geschlossenen Fenster
einen Stein hineinwirft, ohne zu wissen, wo ich stehe. Er weiß
nicht, wo er mich trifft, er weiß nicht, welche Geschäfte er mir
gerade im Augenblick erschwert, die vorliegen, und die mir durch
diesen Widerstand unmöglich werden. Er weiß nicht, welche
auswärtigen Fragen im Augenblicke schweben, die bei einer
energischen Unterstützung der Regierung von seiten des Parla=
ments eine andere Behandlung gestatten würden, als in einem
Falle, wo man sieht, daß das Parlament nicht unbedingt mit
der Regierung geht und nur sehr kleine Anlässe nötig sind, um
eine ernste, tiefgehende Spaltung zu erzeugen.“
Der Reichstag nahm jedoch bei der Abstimmung folgenden
Zusatz zu Artikel 22 an:
„Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den
öffentlichen Sitzungen des Reichstages bleiben von jeder Ver=
antwortlichkeit frei.“
In jeder Reichstags= und in jeder Landtagssession der
nächsten Jahre bildete die Redefreiheit der Volksvertreter einen
der ersten Gegenstände der Erörterung: für den Reichstag selbst
war freilich die unbegrenzte Redefreiheit schon durch die Ver=
fassung gesichert, aber für den preußischen Landtag war eine
Verständigung über die gleiche Ausdehnung jenes parlamenta=
rischen Vorrechtes noch nicht erreicht worden. Ein Antrag im
Reichstage von 1868 ging dahin, durch ein Bundesgesetz die un=
bedingte Redefreiheit auch für alle Landtage zu gewähren.
Der damalige Bundeskanzler, Graf Bismarck, erklärte, daß
die verfassungsmäßige Befugnis des Reichstages und des
Bundes zum Erlasse eines solchen Gesetzes zweifelhaft sei, und
daß er deshalb nicht versprechen könne, seinen Einfluß im
Bundesrat dahin zu verwerten, daß die unbedingte Redefreiheit
allen Bundesstaaten zwangsweise aufgedrängt werde. Dazu
halte er die Sache praktisch für nicht wichtig genug. Dagegen