Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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Reichstages wegen Preßvergehens, Beleidigung des Königs, des 
Kanzlers und des Ministeriums zu einjähriger Gefängnißstrafe 
verurteilt worden. Er wurde, nachdem er seinen Sitz im Reichs= 
tage eingenommen hatte, während der Dauer der Sitzungsperiode, 
am 11. Dezember 1874, zur Verbüßung der Strafe verhaftet. 
Auf Antrag des Abgeordneten Dr. Lasker wurde die Geschäfts= 
ordnungskommission mit der Prüfung der Frage betraut, ob 
diese Verhaftung ohne Zustimmung des Reichstages mit Art. 31 
der Reichsverfassung verträglich und wie für die Zukunft der 
Verhaftung von Mitgliedern des Reichstages, ohne dessen Zu= 
stimmung, vorzubeugen sei. Die Kommission konnte sich über 
einen Antrag an das Plenum nicht einigen. Infolgedessen 
stellte der Abgeordnete Freiherr von Hoverbeck seinen Antrag ⁵⁰). 
Art. 31 der deutschen Reichsverfassung, der dem Art. 84 der 
preußischen Verfassung nachgebildet ist, hat folgenden Wortlaut: 
Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied 
desselben während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe 
bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet 
werden, außer wenn er bei Ausübung der Tat oder im Laufe 
des nächstfolgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung 
ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich. Auf Ver= 
langen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein 
Mitglied desselben und jede Untersuchungs= oder Civilhaft für 
die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben. 
Die Mehrzahl der Lehrer des Strafrechts wie Rönne, Seydel, 
Georg Meyer, Laband und Zorn sind der Ansicht, daß diese Be= 
stimmungen sich nicht auf die Strafhaft beziehen, und daß das 
Strafvollzugsverfahren keinen Teil des Strafverfahrens bilde. 
Im Reichstage wurde die gleiche Ansicht namentlich von dem 
früheren Generalstaatsanwalt Dr. von Schwarze und von Rudolf 
 
⁵⁰) Derselbe lautete: der Reichstag wolle erklären: Behufs Aufrechterhaltung 
der Würde des Reichstages ist es notwendig, im Wege der Deklaration resp. 
Abänderung der Verfassung die Möglichkeit auszuschließen, daß ein Abgeordneter 
während der Dauer der Sitzungsperiode ohne Genehmigung des Reichstages 
verhaftet werde. 
 
	        
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