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Im Januar 1879 legte der Reichskanzler dem Bundesrat
einen Gesetzentwurf, betreffend die Strafgewalt des Reichstages
über seine Mitglieder vor.
Die Denkschrift zur Begründung des Entwurfes lautete in
ihrem allgemeinen Teile wie folgt:
„Der Artikel 30 der Reichsverfassung bestimmt:
Kein Mitglied des Reichstags kann zu irgend einer Zeit
wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines
Berufes getanen Äußerung gerichtlich oder disziplinarisch ver=
folgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung
gezogen werden.“
Die Regelung der Disziplin im Reichstag selbst ist nach
Artikel 27 der Reichsverfassung einer „Geschäftsordnung“ vor=
behalten.
Diese enthält in den §§ 42, 46, 60 und 61 folgende Be=
stimmungen: „Kein Mitglied darf sprechen, ohne vorher das
Wort verlangt und von dem Präsidenten erhalten zu haben.
Der Präsident ist berechtigt, die Redner auf den Gegen=
stand der Verhandlungen zurückzuweisen und zur Ordnung zu
rufen. Ist das eine oder das andere in der nämlichen Rede
zweimal ohne Erfolg geschehen, und fährt der Redner fort, sich
vom Gegenstande oder von der Ordnung zu entfernen, so kann
die Versammlung auf die Anfrage des Präsidenten ohne Debatte
beschließen, daß ihm das Wort über den vorliegenden Gegenstand
genommen werden solle, wenn er zuvor auf diese Folge vom
Präsidenten aufmerksam gemacht ist.
Wenn ein Mitglied die Ordnung verletzt, so wird es von
dem Präsidenten mit Nennung des Namens darauf zurück=
gewiesen. Das Mitglied ist berechtigt, dagegen schriftlich Ein=
spruch zu tun, worauf der Reichstag, jedoch erst in der nächst=
folgenden Sitzung, darüber ohne Diskussion entscheidet, ob der
Ordnungsruf gerechtfertigt ist.
Wenn in der Versammlung störende Unruhe entsteht, so
kann der Präsident die Sitzung auf bestimmte Zeit aussetzen
oder ganz aufheben. Kann sich der Präsident kein Gehör ver=