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zur Folge haben, ihren Versöhnungszweck gänzlich verfehlen und
nur neue Begehrlichkeit und Ansprüche hervorrufen können, die
sechließlich, wenn Staat und Gesellschaft nicht abdizieren wollen,
doch nicht zu erfüllen sind und abgewiesen werden müssen,
eventuell durch einen Kampf, der, je später er beginnt, um so
unsicherer in seinem Ausgange sein wird. Wenn durch die
Steuerreform „Auswüchse am Wahlrecht nach der plutokratischen
Seite hin“ entstanden sind, so ist das eine natürliche Konsequenz
dieser Reform, und es ist nicht unbedenklich, ihnen diesen Cha=
rakter entziehen zu wollen. Wenn jemand nach der Steuer=
reform 50 Prozent seiner bisherigen Steuer mehr an den Staat
bezahlen muß, so steigt damit naturgemäß sein Recht auf Ein=
flußnahme bezüglich der Prinzipien, nach denen dieser Staat re=
giert werden soll; die Wahl aber ist nichts anderes als eine Ab=
stimmung hierüber. Diese Einflußnahme liegt auch durchaus im
Grundgedanken der §§ 10, 11, 12 der Verordnung vom
30. Mai 1849 über die preußischen Wahlen. Wir sehen keinen
Anlaß, davon abzuweichen und halten es auch nicht für im
Interesse des Staates liegend, den Einfluß der besitzenden Klassen
auf die Gesetzgebung zu lähmen.
Die freisinnige Forderung auf Neueinteilmig der Wahlkreise
wird in der vorerwähnten offiziösen Mitteilung abgelehnt, findet
aber Unterstützung in der nationalliberalen Presse unter Angabe
von Gründen, die bei der analogen Forderung der Vermehrung
der Reichstagsmandate von uns schon bekämpft worden sind.
Es handelt sich dabei in der Hauptsache immer nur um mehrere
überfüllte Wahlbezirke großer Städte und volkreicher Industrie=
bezirke, die in stets wachsendem Maße hinter den mit ihrer Be=
völkerungszahl weit langsamer voranschreitenden ländlichen Be=
zirken zurückgesetzt seien. Wir sehen aber darin keine Unbillig=
keit und noch viel weniger einen Zustand, der aus Opportuni=
tätsgründen den Staat zur Abhilfeleistung bewegen müßte.
Wenn namentlich Berlin, infolge des Zuzuges aus dem Lande,
überfüllte Wahlkreise hat, so liegt darin noch kein Grund zur
Vermehrung derselben, nicht sowohl weil der Einfluß der Haupt=