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Am 25. Januar 1873 behandelte Fürst Bismarck ganz be=
sonders das Ministerpräsidium in Preußen. Er führte aus:
„Es ist bei uns der eigentümliche Fall, daß der Präsident
des Staatsministeriums, obschon ihm ein größeres Gewicht der
moralischen Verantwortlichkeit, wie jedem anderen Mitgliede,
ohne Zweifel zufällt, doch keinen größeren Einfluß als irgend
einer seiner Kollegen auf die Gesamtleitung seiner Geschäfte hat,
wenn er ihn nicht persönlich sich erkämpft und gewinnt. Unser
Staatsrecht verleiht ihm keinen. Wenn er diesen Einfluß ge=
winnen will, so ist er genötigt, ihn durch Bitten, durch Über=
reden, durch Korrespondenzen, durch Beschwerde beim Gesamt=
ministerium, kurz und gut, durch Kämpfe zu gewinnen, welche
die Leistungsfähigkeit des einzelnen in sehr hohem Maße in
Anspruch nehmen.“
Endlich am 5. März 1878 erklärte Fürst Bismarck in der
Rede über die Stellvertretungsvorlage im Reichstage:
„Im preußischen Ministerium hat der Ministerpräsident kein
Veto; da gibt es überhaupt beinen Ministerpräsidenten, nur einen
Minister, der den Titel führt und die Debatte geschäftlich zu
leiten hat und seine Kollegen bitten kann; aber zu sagen hat er
nichts, auch kein Veto, und wenn sich jemals ein Minister=
präsident eines gewissen Einflusses auf seine preußischen Kollegen
erfreut, so ist doch das gewöhnlich mehr das Ergebnis einer sehr
langjährigen Dienstzeit und eines hohen Maßes von Vertrauen,
dessen er beim Monarchen genießt, aber nicht der Ausdruck der
Institution. Der preußische Ministerpräsident hat gar keinen
gesetzlichen Einfluß.“
Im Frühjahr 1877 fühlte sich Fürst Bismarck von den
fortwährenden Reibungen erschöpft. Er wollte definitiv und
gänzlich zurücktreten. Was man über die Kämpfe nach allen
Seiten hin erfuhr, welche den Kanzler zu dem Entschlusse ver=
anlaßten, war allerdings geeignet, die Vorstellung zu erwecken,
daß er ein volles Recht habe, einem unerträglichen Zu=
stande ein Ende zu machen, und daß unter solchen moralischen
Qualen seine längst erschütterte Gesundheit in Gefahr stand,