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In der norddeutschen Verfassung war der Eintritt der süd=
deutschen Staaten durch folgende Bestimmung des Art. 79 vor=
gesehen: „Der Eintritt der süddeutschen Staaten oder eines der=
selben in den Bund erfolgte auf den Vorschlag des Bundes=
präsidiums im Wege der Bundesgesetzgebung.“ Als es infolge
des französichen Krieges 1870 soweit war, berichtete im Nord=
deutschen Reichstag der Staatsminister Delbrück über die bezüg=
lichen Verhandlungen von München und Versailles, „daß man zu=
sammengetreten sei, um über die Gründung eines deutschen
Bundes zu verhandeln“ — der später den Namen „Deutsches
Reich“ erhielt. Demgemäß bezwecken die Berliner resp. Versailler
Verträge, daß, wie es in dem mit Bayern heißt, „ein ewiger
Bund geschlossen wird, welcher die in gewissen Punkten abge=
änderte Norddeutsche Verfassung erhalten soll. Ganz, wie bei
der Stiftung des Norddeutschen Bundes, sind die „Verträge“
das Mittel zum Zweck. Nachdem dieser erreicht worden ist,
haben sie immer noch die Bedeutung von Materialien zur
Interpretation der Reichsverfassung, in welche ihre wesentlichen
Bestimmungen übergegangen sind; aber die Grundlage des Reiches
ist nunmehr diese Verfassung; nicht die Verträge, durch welche
man zu ihr gelangte. Wir zitieren wieder Laband als be=
währten Lehrer des Staatsrechts; er sagt:
Die Versailler November=Verträge finden ihre Analogie in
dem Augustbündnis von 1866. Sie sind durchaus völkerrecht=
licher Natur; sie begründen vertragsmäßige Rechte und Pflichten.
Der Inhalt derselben besteht für den Nordeutschen Bund in der
Pflicht — und dem dieser Pflicht korrespondierenden Rechte —,
am 1. Januar 1871 die süddeutschen Staaten unter den mit
denselben vereinbarten Bedingungen in den Bund aufzunehmen,
für jeden der süddeutschen Staaten in der Pflicht — und dem
dieser Pflicht korrespondierenden Rechte — am 1. Januar 1871
dem Bunde beizutreten.
Demgemäß besagt das Reichsgesetz vom 16. April 1871,
durch welches die neue Redaktion der Reichsverfassung verkündet
wurde, daß diese Verfassung an die Stelle der zwischen dem