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einem Kriegsministerium behalten, aber die Kontingente waren
als Armeekorps förmlich in das Reichsheer einverleibt und auf
den Reichsetat übernommen. Zwar sagt der Titel 63 der
Reichsverfassung:⁹⁵) „Die gesamte Landmacht des Reiches wird
ein einheitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter
dem Befehle des Kaisers steht“, aber im Fortgange desselben
Artikels ist auch von der „Königlich Preußischen Armee“ die Rede,
und in demselben Abschnitt der Verfassung wird von den
übrigen Kontingenten, von dem „bayrischen Heer“, von den
„eigenen Truppen der Bundesfürsten und Senate“ gesprochen,
und Laband stellt an die Spitze seiner Darstellung des Militär=
rechts den Satz: „Es gibt kein Heer des Reiches, sondern nur
Kontingente der Einzelstaaten.“ ⁹⁶)
Dieser Rechtszustand aber erfährt wichtige tatsächliche Än=
derungen. Unterscheidet man zwischen den Rechten des Ober=
feldherrn und des Kontingentsherrn, so ruhen diese Rechte in
Preußen und in Elsaß=Lothringen gemeinsam in der Hand des
Kaisers, in Bayern im Frieden gemeinsam in der Hand des
Königs, in allen übrigen Staaten sind sie verfassungsrechtlich
getrennt. Tatsächlich sind wieder in allen diesen Staaten —
mit Ausnahme von Sachsen und Württemberg — die Rechte
des Kontingentsherrn durch Militärkonventionen auf Preußen
übertragen, sodaß nur vier Kontingente bestehen bleiben, das
preußische, bayrische, sächsische und württembergische. Die Be=
fugnisse der vier Kontingentsherren sind für die einzelnen
Staaten ganz verschieden abgegrenzt. Ebenso sind durch die
Militärkonventionen die Rechte und Pflichten der Beteiligten
nicht einheitlich geordnet. Die Kontingente einzelner Staaten,
wie Schwarzburg=Sondershausen, Waldeck, Lippe=Detmold,
Schaumburg=Lippe und der Hansestädte sind ganz aufgelöst;
die Wehrpflichtigen werden in preußische Truppenteile eingestellt.
⁹⁵) efr. Anmerkung Nr. 11.
⁹⁶) efr. Professor Dr. Paul Laband: „Das Staatsrecht des Deutschen
Reiches“ in Dr. Max v. Seydels Handbuch des öffentlichen Rechts, 1894.
Freiburg, Leipzig, Akad. Verlagsbuchh. II, 1, pag. 228.