Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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Teil unserer ostelbischen Rittergutsbesitzer hat es nicht mehr ver= 
standen, diejenige wirtschaftliche Bedeutung in der Gegenwart 
für das Staatsleben aufrecht zu erhalten, die er in der Ver= 
gangenheit besaß. Diese Gutsbesitzer sind schon längst nicht mehr 
imstande, die Stellen im Heere und in der preußischen Ver= 
waltung zu besetzen, die sie sich lange Zeit vorzubehalten ver= 
standen haben. Das Bürgertum hat in einer weitgehenden Weise 
zur Aushilfe herangezogen werden müssen, und heute nimmt es 
den wichtigsten Teil unserer Staatsämter und Offizierstellen in 
der Verwaltung, im Richtertum, im Heer und in der Marine 
ein, völlige Gleichberechtigung verlangend und von dem nie ver= 
sagenden Gerechtigkeitsgefühl unserer Hohenzollernkönige auch 
mehr und mehr erhaltend. Noch wichtiger aber ist, daß ein 
großer Teil unserer ostelbischen Gutsbesitzer auch auf dem eigensten 
Gebiete der Landwirtschaft in bedauerlichem Umfange zum Schaden 
des Staates und der eigenen Familien zurückgeblieben ist. Es 
gibt ja auch hervorragende Fachkenner und gründlich gebildete 
Landwirte unter ihnen. Aber sie bilden leider nicht die Regel. 
Die Mehrheit unter ihnen hat keine landwirtschaftlichen Schulen 
besucht, keinen wissenschaftlichen Unterricht in den maßgebenden 
Fächern, vor allem der Bodenkunde und der Chemie genossen. 
Sie haben meist die Zeit, die zum Lernen hätte verwandt werden 
müssen, statt auf der Hochschule im Heere zugebracht. An der 
Majorsecke haben sie sich entschlossen, sich fortan der Verwaltung 
ihrer Familiengüter zu widmen oder eigene Güter zu kaufen, 
meist ohne entsprechendes Kapital für den Kauf und den Betrieb, 
und das Ende vom Liede ist ein unerbittliches Zurückgehen im 
Wohlstand und in der Bedeutung dieser Familien für das Staats= 
leben. Mit diesen unbestrittenen Tatsachen muß der Staat 
rechnen. Es liegt gewiß in seinem Interesse, alte Familien 
tunlichst lange auf ihrem Besitz und in ihrem Wohlstand erhalten 
zu sehen, aber selbstverständlich unter der einen Voraussetzung, 
daß das nicht auf Kosten der Landwirtschaft und damit des 
Volkswohlstandes geschieht. Der Staat hat ein höheres Interesse 
daran, nicht daß eine im Rückgang befindliche Familie auf ihrem
	        
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