Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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und sozialen Kreise unserer Monarchie im Herrenhause vereinigt 
werden, um so sicherer wird das Herrenhaus in unruhigen und 
aufgeregten Zeiten jenen mäßigenden und dem Staatswohl 
förderlichen Einfluß ausüben können, in dem seine Daseins= 
berechtigung wurzelt.“ 
Fürst Bismarck hat zu dieser Controverse nicht direkt Stellung 
genommen. Er spricht sich zur Sache in seinen „Gedanken und 
Erinnerungen“ wie folgt aus: 
„Die erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche 
einer solchen im konstitutionellen Leben zufallen, befähigter als 
das heutige Herrenhaus. ¹⁰⁵) Sie genoß in der Bevölkerung eines 
Ansehns, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat. 
Das letztere hat zu einer hervorragenden politischen Leistung nur 
in der Konfliktszeit Gelegenheit gehabt und sich damals durch die 
furchtlose Treue, mit der es zur Monarchie stand, auf dem 
defensiven Gebiete der Aufgabe eines Oberhauses völlig gewachsen 
gezeigt. Es ist wahrscheinlich, daß es in kritischen Lagen der 
Monarchie dieselbe tapfere Festigkeit beweisen wird. Ob es aber 
für Verhütung solcher Krisen in den scheinbar friedlichen Zeiten, 
in denen sie sich vorbereiten können, denselben Einfluß ausüben 
wird, wie jene erste Kammer getan hat, ist mir zweifelhaft. 
Es verrät einen Fehler in der Konstitution, wenn ein Oberhaus 
in der Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der 
Regierungspolitik oder selbst der Königlichen Politik wird. Nach 
der preußischen Verfassung hat der König mit seiner Regierung 
an und für sich einen gleichwertigen Anteil an der Gesetzgebung, 
wie jedes der beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, 
sondern die ganze vollziehende Gewalt, vermöge deren die Ini= 
tiative in der Gesetzgebung faktisch und die Ausführung der 
Gesetze auch rechtlich der Krone zufällt. Das Königtum ist, wenn 
es sich seiner Stärke bewußt ist, und den Mut hat, sie anzu= 
wenden, mächtig genug für eine verfassungsmäßige Monarchie, 
ohne eines ihm gehorsamen Herrenhauses als einer Krücke zu 
¹⁰⁵) efr. „Gedanken und Erinnerungen“, I, pag. 143—145. 
Bismarcks Staatsrecht. 21
	        
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