Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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bedürfen. Auch wenn das Herrenhaus in der Konfliktszeit sich 
für die ihm zugehenden Etatsgesetze die Beschlüsse des Abgeordneten= 
hauses angeeignet hätte, so wäre immer, um ein Etatsgesetz nach 
Art. 99 zu stande zu bringen, die Zustimmung des dritten Faktors, 
des Königs, unentbehrlich gewesen, um den Etat Gesetzeskraft 
zu geben. 
Nach meiner Übezeugung würde König Wilhelm seine Zu= 
stimmung auch dann versagt haben, wenn das Herrenhaus in 
seinen Beschlüssen mit dem Abgeordnetenhause übereingestimmt 
hätte. Daß die „erste Kammer“ das getan haben würde, glaube 
ich nicht, vermute im Gegenteil, daß ihre durch Sachlichkeit und 
Leidenschaftslosigkeit überlegenen Debatten schon viel früher auf 
das Abgeordnetenhaus mäßigend eingewirkt und dessen Aus= 
schreitungen zum Teil verhindert haben würde. Das Herrenhaus. 
hatte nicht dasselbe Schwergewicht in der öffentlichen Meinung; 
man war geneigt, in ihm eine Doublüre der Regierungs= 
gewalt und eine parallele Ausdrucksform des Königlichen Willens 
zu sehen. 
Ich war schon damals solchen Erwägungen nicht unzu= 
gänglich, hatte im Gegenteil dem Könige gegenüber, als er seinen 
Plan wiederholt mit mir besprach, lebhaft befürwortet, neben einer 
gewissen Anzahl erblicher Mitglieder den Hauptbestand des 
Herrenhauses aus Wahlkorporationen hervorgehen zu lassen, deren 
Unterlage die 12 000  oder 13 000 Rittergüter, vervollständigt 
durch gleichwertigen Grundbesitz, durch die Magistrate bedeutender 
Städte und die Höchstbesteuerten ohne Grundbesitz nach einem 
hohen Census abgeben sollten, und daß der nichterbliche Teil der 
Mitglieder ebenso wie die des Abgeordnetenhauses der Wahl= 
periode und der Auflösung unterliegen sollte. Der König wies 
diese Ansichten so weit und geringschätzig von sich, daß ich jede 
Hoffnung auf eingehende Erörterung derselben aufgeben mußte. 
Auf dem mir neuen Gebiete der Gesetzgebung hatte ich damals 
nicht die Sicherheit des Glaubens an die Richtigkeit eigner Auf= 
fassungen, welche erforderlich gewesen wäre, um mich in den mir 
gleichfalls neuen unmittelbaren Beziehungen zu dem Könige und
	        
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