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„Der gegenwärtige Gesetzentwurf bezweckt die Einführung
der obligatorischen Zivilehe (der allgemein verbindlichen bürger=
lichen Form der Eheschließung) und die Übertragung der Füh=
rung aller Standesregister an bürgerliche Behörden.
Der bestehende Rechtszustand hinsichtlich der Form der Ehe=
schließung ist in dem weitaus größten Teile der Monarchie
mit den fühlbarsten Übelständen verknüpft.
Es fehlt in einem großen Teile der Provinzen an einer
Form für die Eheschließung zwischen Personen, von denen der
eine Teil innerhalb, der andere außerhalb der Kirche steht. Die
Eingehung ihrer Ehe hängt lediglich davon ab, ob sie einen lan=
deskirchlichen Geistlichen finden, welcher die Trauung zu verrichten
bereit ist. — Die Mitglieder derjenigen Religionsgesellschaften,
deren Geistlichen die Berechtigung fehlt, Trauungen mit bürger=
licher Wirkung vorzunehmen (Mennoniten, Baptisten, Immanuel=
synode und andere), sind genötigt, für ihre Eheschließungen die
Mitwirkung andersgläubiger Geistlichen zu suchen. — Die Ein=
gehung gemischter Ehen ist, so lange die kirchliche Trauung ob=
ligatorisch bleibt, eine unerschöpfliche Quelle konfessionellen Haders,
welche auch die staatlichen Interessen empfindlich berührt. — Das
Gleiche gilt hinsichtlich der Geschiedenen, welche die Wiedertrauung
innerhalb der katholischen Kirche gar nicht, innerhalb der evan=
gelischen Kirche, sofern die frühere Ehe aus einem kirchlich nicht
anerkannten Grunde geschieden war, meist nur durch die Zu=
stimmumg der obersten Kirchenbehörde erlangen können, welche
in nicht seltenen Fällen versagt wird.
Fordern schon diese Übelstände eine Abhülfe im Wege der
staatlichen Gesetzgebung, so wird ein unverzügliches Vorgehen in
dieser Richtung durch die neueren Bewegungen innerhalb der
katholischen Kirche und durch die ablehnende Stellung der römisch=
katholischen Bischöfe zu den jüngst erlassenen Kirchengesetzen un=
abweisbar geboten.
Wie bekannt, erkennt ein Teil der Katholiken — die soge=
nannten Altkatholiken — das auf dem vatikanischen Konzil auf=
gestellte Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht an.