Full text: Bismarcks Staatsrecht.

  
38 
  
  
Landesvertretung mit Erfolg Rechenschaft ablegen kann über die 
Politik, die sie am Reiche befolgt.“ Kann das das preußische 
Staatsministerium, wenn es Vorlagen von höchster Wichtigkeit 
nicht einer sachlichen Prüfung zu unterziehen, sondern nur formell 
zur Kenntnis zu nehmen hat? 
Fürst Bismarck faßt seine gesamte Anschauung über 
„Präsidialvorlagen“ in eine eingehende Darstellung zusammen, 
die im Anschluß an den Streit um die Beteiligung des preußischen 
Staatsministeriums an der Militärvorlage im Oktober 1892 in 
den „Hambg. Nachrichten“ erschien: 
„Die Frage der Präsidialanträge, die jetzt aus Anlaß der 
Militärvorlage diskutiert wird, ist nicht neu. Die fortschrittliche 
Presse hat unter Berufung auf Art. 7 der R.=V. früher stets 
die Ansicht vertreten, der Reichskanzler als solcher sei verfassungs= 
mäßig nicht berechtigt, die Initiative in der Gesetzgebung aus= 
zuüben; dies sei Sache der Bundesglieder. In dem angezogenen 
Verfassungsartikel wird nur bestimmt, jedes Bundesmitglied 
solle befugt sein, Vorschläge zu machen und zum Vortrage zu 
bringen. Durch diese Bestimmung ist kein einzelner Bundesstaat 
zu derjenigen Initiative verpflichtet, ohne welche die fortlaufende 
Führung der Reichsgeschäfte nicht denkbar ist. Demgemäß ist 
die Praxis der sogenannten Präsidialanträge fast so alt wie der 
Bundesrat selbst. Die Präsidialanträge sind auch stets von 
denen der preußischen Regierung genau unterschieden worden, 
namentlich in dem Sinne, daß bei Präsidialanträgen das Votum 
der preußischen Regierung stets als noch gar nicht abgegeben, 
als noch schwebend, betrachtet wurde. Die Vorschrift des Art. 15 
der Reichsverfassung, welche besagt, daß der Vorsitz im Bundes= 
rate, wie die Leitung der Geschäfte, dem Reichskanzler zustehen, 
ist nicht so aufzufassen, als ob mit „Leitung der Geschäfte“ 
lediglich die Formalien innerhalb des Bundesrates gemeint 
wären; es handelt sich vielmehr um die „Leitung der Reichs= 
geschäfte", welche letztere zwar dem Bundesrate obliegen, für 
die aber dem Kanzler mit dem Vorsitze auch die Initiative zu= 
kommt, und zwar unter Kontrolle des Kaisers, dessen Willens=
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.