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Auffassung des Vorhandenseins einer Reichsregierung. Eine
solche existiert nicht. Wenn bei uns der Ausdruck Regierung
gebraucht wird, so ist zunächst immer die preußische gemeint,
welche berufen ist, die Reichspolitik hauptsächlich zu beeinflussen.
Es ist eine Erfindung allerneuester Zeit, daß die Reichsregierung
aus dem Reichskanzler bestehe, während dieser in der Tat nichts
anderes ist, als der Kaiserliche Ausführungsbeamte für die Kaiser=
liche Verwaltung. Wenn jemand infolge der Ablehnung der Vor=
lage zurückzutreten hätte, so wären es in erster Linie die
preußischen Staatsminister und demnächst die Minister der
übrigen Staaten, welche die Vorlage im Bundesrate angenommen
haben, aber nicht der Reichskanzler, der für die Vorlage als
solcher nicht verantwortlich ist.
Die Bildung des Begriffes einer Reichsregierung, welche
letztere lediglich in der Person des Kanzlers bestehen soll, halten
wir in ihrer weiteren Entwickelung für unsere verfassungsmäßigen
Einrichtungen gefährlich. Es fangen auch schon andere Blätter,
als offiziöse, z. B. die „Kölnische Volkszeitung“ an, vom Reichs=
kanzler als vom Träger der Verantwortung für die Entwicke=
lung legislativer Vorlagen zu sprechen. Wir können uns nicht
oft genug gegen die Fälschung der Verfassung verwahren, die
damit angebahnt wird, daß man die Verantwortlichkeit der Einzel=
ministerien in ihrer Gesamtheit auf die Person eines kaiserlichen
Verwaltungsbeamten, wie es der Reichskanzler ist, überträgt.
Die Verwirrung der verfassungsrechtlichen Vorstellungen,
die dadurch angerichtet wird, beginnt sich bereits auch außerhalb
der Frage der Militärvorlage zu äußern. Sie drückt sich z. B.
in den Meldungen aus, die über Differenzen zwischen dem
Reichskanzler und dem preußischen Staatsministerium gelegent=
lich des russischen Handelsvertrages vorgekommen sein sollen.
Die „Kreuzzeitung“ ließ durchblicken, das preußische Staats=
ministerium sei wegen dieses Vertrages garnicht gefragt worden;
die „Frankf. Ztg.“ meldete, der Vertrag drohe infolge der
gegensätzlichen Haltung des preußischen Staatsministeriums dem
Reichskanzler gegenüber zu scheitern, und schließlich schrieb die