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„Berl. Börs.=Ztg.“, es sei über jeden Zweifel erhaben, daß ein
Riß zwischen der Reichspolitik und der preußischen Politik be=
stehe. Eine gegensätzliche Haltung des preußischen Staats=
ministeriums zum Reichskanzler und umgekehrt ist aber eine ver=
fassungmäßige Unmöglichkeit. Wenn Derartiges dennoch vor=
käme, so wäre es ein Beweis dafür, daß etwas faul im Staate
Deutschland sei. Die preußische Rgierung hat nicht das Recht,
sich unabhängig von der Reichspolitik zu erklären, und noch viel
weniger kann die Reichspolitik, wer immer ihr Träger sein mag,
getrennte Wege von der preußischen gehen. Unsere verfassungs=
mäßigen Zustände werden durch solche rechtswidrigen Fiktionen
in ihren Grundfesten erschüttert. Wenn die kanzlerische Politik
sich von der des preußischen Ministeriums entfernen wollte, so
verständen wir nicht, wie die preußischen Minister in solchem
Falle auf ihren Posten bleiben könnten und wie sie mit ihrem
preußischen Kollegen, dem Minister des Auswärtigen, also auch
der deutschen Angelegenheiten, weiter zu wirtschaften mit Ehren
imstande sein wollten. Wir halten die von den Blättern be=
richteten Vorgänge für verfassungsmäßig so unmöglich, daß wir
nicht an sie glauben können. Sie würden auf eine Verleumdung
der preußischen Staatsmänner hinauslaufen, in der Richtung,
daß diese sich, um auf ihren Posten zu bleiben, verfassungswidrig
vergewaltigen ließen.
Dagegen läßt sich nicht verkennen, daß infolge dieser Sach=
lage das Bedürfnis irgend eines Grades von Öffentlichkeit der
bundesrätlichen Verhandlungen in den verbündeten Staaten
immer mehr hervortritt, um der öffentlichen Meinung und dem
Landtage jeden Staates Gelegenheit zu geben, sich ein Bild von
der Stimmführung der eigenen Regierung im Bundesrate zu
machen und die Verantwortlichkeit der eigenen Minister für die
Abstimmung zu kontrollieren. Die Bedeutung der obersten Reichs=
ämter dagegen kommt dabei nach unserer heutigen Verfassung
nicht in Frage. Letztere legt ihnen keine maßgebende Kompetenz
bei, welche über diejenige der Unterstaatssekretäre im Dienst der
einzelnen Staaten hinausginge. Es ist nicht zu „befürchten“,