Full text: Bismarcks Staatsrecht.

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Ministeriums zu unterstellen; dies ist in der letzten Zeit nicht 
immer mit der nötigen Genauigkeit beobachtet worden. Ich habe 
im Dienst ja vorzugsweise den Titel „Reichskanzler“ geführt; 
das war aber ursprünglich nicht meine Absicht, indem der Reichs= 
kanzler zuerst nichts anderes als der frühere preußische Bundes= 
tagsgesandte im alten Sinne sein sollte mit dem Titel eines 
Präsidialgesandten, und es war beabsichtigt, ihm zugleich 
die Leitung der deutschen Abteilung im preußischen auswärtigen 
Ministerium zu übertragen. 
Dieser Entwurf änderte sich, nachdem der Reichstag be= 
schlossen hatte, daß der Bundeskanzler der verantwortlich kon= 
trasignierende Beamte für die Anordnungen des Präsidiums, 
heut des „Kaisers“, sein solle. Nachdem dies rechtsbeständig 
geworden, mußten der auswärtige Minister und der Kanzler kom= 
biniert werden, da der König nicht zwei konkurrierende auswärtige 
Ratgeber haben konnte. Es war rein zufällig, daß ich den Titel 
Reichskanzler gewohnheitsmäßig führte; meine Kompetenz lag in 
der Eigenschaft des leitenden preußischen Ministers, dessen Organ 
ich selbst als Reichskanzler war. Ich möchte nicht, daß meine 
Titelwahl zum Schaden in der Entwicklung des Reichs durch 
Übertreibung der Stellung des Reichskanzlers wird; der Reichs= 
kanzler mit den wenigen Räten, die er um sich hat, kann die 
Tätigkeit des preußischen Gesamtministeriums nicht ersetzen mit 
dessen hundert oder tausend eingeübten Räten, die mit dem Volks= 
leben durch ihren täglichen Dienst in Fühlung stehen und damit 
sachkundig vertraut sind. Es ist eine verfassungswidrige Künstelei, 
wenn man den Reichskanzler in seiner militärischen Person als 
verantwortlichen Träger unserer Gesetzgebung, oder wenn man 
den Reichsschatzsekretär als eine verantwortliche Persönlichkeit 
hinstellen will, während er nur Untergebener des Reichskanzlers 
ist. Ob er nun Posadowsky oder Schraut heißt, ist ganz gleich= 
giltig; er ist nur ausführender Beamter, hat keine Verantwortung 
für unsere Gesetzgebung, und sie ihm beizulegen, ist eine tendenziöse 
Abweichung von der Verfassung. Ich halte die Tendenz dazu, 
wie sie in offiziösen Blättern Ausdruck gefunden hat, für schäd=
	        
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