Full text: Bismarcks Staatsrecht.

 
73 
Wenn nun auch eine früher nicht bestrittene Praxis eine 
Anzahl von Fällen aufweist, in welchen Allerhöchste Anordnungen 
und Verfügungen durch andere Reichsbeamte in Vertretung des 
Reichskanzlers kontrasigniert worden und in dieser Gestalt in 
die amtliche Verkündigung übergegangen sind, so ist doch bei 
Gelegenheit des dem Reichskanzler im vorigen Jahre Allerhöchst 
bewilligten Urlaubs im Reichstag die Zulässigkeit einer solchen 
Vertretung angezweifelt worden. 
Auch betreffs der dem Reichskanzler zustehenden obersten 
Leitung und Aufsicht, welche aus der ihm übertragenen Gegen= 
zeichnung rechtlich folgt, aber nicht überall mit der Vornahme 
einer Gegenzeichnung zusammenfällt, könnte der Zweifel erhoben 
werden, ob das bestehende Recht die Übertragung derselben auf 
Stellvertreter des Reichskanzlers allgemein zuläßt. In aus= 
drücklicher Anordnung gestattet das Bankgesetz vom 14. März 1875, 
daß die Leitung der Reichsbank „in Behinderungsfällen des 
Reichskanzlers durch einen vom Kaiser hierfür ernannten Stell= 
vertreter wahrgenommen werde.“ Sonst fehlt es an gesetzlichen 
Bestimmungen, so daß jene einzelne Anordnung sowohl als Aus= 
nahme wie als Anerkennung des allgemeinen Rechts angerufen 
werden könnte. Da die Gewalt der Tatsachen aber auf die 
Notwendigkeit hinweist, gesetzlich die unbestrittene und auf Grund 
der Verfassung nicht bestreitbare Möglichkeit einer vollen Stell= 
vertretung des Reichskanzlers zu bieten, so wird die Gesetzgebung 
sich nicht länger dieser Aufgabe entziehen dürfen. 
Der vorgelegte Gesetzentwurf schließt sich in seinen Be= 
stimmungen an den erwähnten, für einen sehr wichtigen Zweig 
der Leitung des Reichskanzlers gegebenen Vorgang der Reichs= 
gesetzgebung, an den § 26 des Bankgesetzes an, und es ist somit 
nur ein organisches Fortschreiten auf dem schon betretenen Wege, 
wenn der Entwurf die Zulässigkeit einer Vertretung des Reichs= 
kanzlers, für Fälle der Behinderung desselben, in jedem einzelnen 
Amtszweige, sowie in der Gesamtheit der Obliegenheiten des 
Kanzleramtes, gesetzlich zum Ausdruck bringt. 
Dabei läßt der Entwurf die dem Reichskanzler durch Art. 15
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.