Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Das Staatsbürgerrecht. (§. 57.) 
5. An den Wirkungen, welche der Wohnsitz oder Aufenthalt anßerhalb des Bundes- 
gebietes auf die Steuerpflicht eines Reichsangehörigen äußert, wird durch das Gesetz 
v. 13. Mai 1870 nichts geändert (§. 5). 
Durch den preußisch-österreichischen Staatsvertrag v. 21. Juni 1899 nebst Gesetz 
v. 18. April 1900 (G. S., S. 259) sind Vorschriften getroffen, auf Grund deren die 
Doppelbesteuerung grundsätzlich auch zwischen Preußen und Osterreich (Zisleithanien) für 
die beiderseitigen Staatsangehörigen ausgeschlossen ist; zugleich ist durch §. 2 des zit. 
Gesetzes der Finanzminister ermächtigt, auch anderen Staaten gegenüber analoge Maß- 
regeln nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit zu treffen. 
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VI. Auswanderungsfreiheit.! 
I. Das Prinzip der Freizlgigkeit schließt zwar nicht grundsätzlich die Auswande- 
rungsfreiheit in sich, wohl aber stehen beide Prinzipien in nahem inneren Zusammenhange. 
Die Freiheit der Auswanderung war in Preußen bereits durch die Bestimmungen des 
Allgemeinen Landrechtes, Teil II, Tit. 17, §§. 127—140, grundsätzlich anerkannt. Diese 
Vorschriften gingen dahin, daß, außer den Kantonisten (Militärpflichtigen! und vaterlosen 
Waisen (§8§. 125 u. 129 a. a. O.), einem jeden, wenn nicht die Provinzialgesetze ein 
besonderes Verbot enthielten (§. 130 a. a. O.), die Auswanderung völlig freistehen solle, 
und daß es dazu nur eines Vorwissens und keiner Erlaubnis des Staates, und nur 
einer Anzeige des Auswandernden bedürfe. Diese Auswanderungsfreiheit, welche das All- 
gemeine Landrecht angeordnet hatte, wurde indes infolge der schwierigen Verhältnisse, 
worin die Monarchie nach dem Tilsiter Frieden versetzt war, durch das Edikt v. 2. Juli 
18122 aufgehoben, durch das Gesetz v. 15. Sept. 18183 aber, unter völliger Aufhebung des 
Edikts vom 2. Juli 1812, wieder hergestellt. Die Bestimmungen des Gesetzes v. 15. Sept. 
1818 sind demnächst fast wörtlich in die §§. 16—21 und 24—26 des Gesetzes v. 31. Dez. 
1842 über den Erwerb und Verlust der Eigenschaft als preußischer Untertan über- 
gegangen, durch welches Gesetz auch die oben angeführten entgegenstehenden Bestimmungen 
des Allgemeinen Landrechts beseitigt worden sind. Schließlich aber hat die Verfassungs- 
urkunde im Art. 11 ausgesprochen, „daß die Freiheit der Auswanderung von Stzats wegen" 
nur in bezug auf die Wehrpflicht beschränkt werden kann“.“ Hiernach darf mithin keinem 
preußischen Staatsangehörigen die Auswanderung versagt werden, ausgenommen aus 
denjenigen Gründen, welche aus der im Art. 11 der Verfassungsurkunde gedachten Be- 
schränkung in bezug auf die Wehrpflicht bestehen, und diesen Grundsatz hat demnächst auch 
die Reichsgesetzgebung durch die Bestimmung des §. 17 des Reichsgesetzes v. 1. Juni 
1870 über die Erwerbung und den Verlust der Reichs= und Staatsangehörigkeit? an- 
erkannt, wonach aus anderen als den in den 8§. 15 und 16 derselben bezeichneten 
  
1 Vgl. Pözl, das Recht der Auswanderung (in 
Bluntschlis Staatswörterbuch, Bd. 1, S. 579 ff.); 
ferner Störk, in Holtzendorffs Handbuch des 
Völkerrechts in Bd. IV., S. 597 ff.; Zorn, in 
Stengels Wörterbuch, Bd. I, S. 122. 
* G. S. 1812, S. 114. 
2 G. S. 1818, S. 175. — Agl. über die 
Entstehung dieses Gesetzes die Mitteilungen der 
Gesetzrevisoren (Gesetzrev. Pens. XII, Motive zum 
A. L. R., Bd. II, S. 17, Abschn. 2, S. 311 ff.; 
s. auch Simon, Preuß. Staatsrecht, Bd. II, 
S. 681 ff.). 
4 G. S. 1843, S. 15. 
5 Mit den Worten: „von Staats wegen“ ist 
ausgedrückt, daß der Auswanderungefreiheit aller- 
dings andere Hindernisse, als welche aus dem 
Rechte und dem Interesse des Staates entspringen, 
entgegenstehen können. Dahin gehören insbe- 
sondere die privatrechtlichen Beschränkungen, welche 
aus dem ehelichen Rechte des Ehemannes, aus 
  
der väterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt 
usw. entspringen. 
* Der Art. 11 der Verf. Urk. fehlte in dem 
Regierungsentwurf v. 20. Mai 1848 ganz. Der 
Entwurf der Verfassungskommission der National- 
versammlung (8. 9) lautete dagegen: Die „Aus- 
wanderungsfreiheit ist von Staats wegen nicht be- 
schränkt“ (s. Rauer, Verhandl. der Verfassungs- 
kommission der Nationalversammlung, S. 109, 
S. 19, 20, 105, 122). Dieser in die Verf. 
Urk. v. 5. Dez. 1848 übernommene Satz ist in- 
des bei der Revision dahin abgeändert worden, 
daß die Beschränkung der Auswanderungsfreiheit 
durch die Wehrpflicht hinzugefügt worden ist, weil 
angenommen wurde, daß letztere für den Preuß. 
Staat von so hoher Wichtigkeit sei, daß ihr die 
Auswanderungsfreiheit untergeordnet werden müsse. 
(Stenogr. Ber. der I. Kammer 1849—50, S. 671 ff., 
und der II. Kammer, S. 492; vgl. v. Rönnes 
Bearbeitung der Verf. Urk., S. 30—31.) 
7 B. G. Bl. 1870, S. 358.
	        
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