Landeskirchen der neueren Provinzen. (§. 129.) 209
einzige Band, welches sie mit der altpreußischen Landeskirche verbindet, ist die Person
des Königs, auf welchen das oberste Kirchenregiment der früheren Landesherren überge-
gangen ist und der das Kirchenregiment in jeder dieser Landeskirchen nach deren ver-
fassungsmäßigen Bestimmungen ausübt. 1
I. Provinz Hannover.
Das Landesverfassungsgesetz v. 6. Aug. 18402 sicherte in §. 63 der evangelischen
und der römisch-katholischen Kirche ihre verfassungsmäßigen Rechte zu. §. 64 bestimmte,
daß dem König kraft der ihm zustehenden Staatsgewalt über beide Kirchen das Ober-
aufsichts= und Schutzrecht gebühre. §. 65 fügte hinzu, daß die Anordnung der geistlichen
Angelegenheiten 3 unter Oberaufsicht des Königs der in der Verfassung einer jeden der
beiden Kirchen gegründeten Kirchengewalt überlassen bleibe. §. 23 des Gesetzes v.
5. Sept. 1848 betreffend Anderungen des Landesverfassungsgesetzes“ verordnete sodann,
daß die Rechte der Kirchengewalt in der evangelischen Kirche vom König, soweit es die
Kirchenverfassung mit sich brachte, unmittelbar oder mittelbar durch die Konsistorial= und
Presbyterialbehörden unter königlicher Oberaufsicht ausgeübt werden. Der König kann
über Abänderungen der bestehenden Kirchenverfassung nur mit einer von ihm zu berufen-
den Versammlung von geistlichen und weltlichen Personen, welche teils von ihm ernannt,
teils von den Geistlichen und Gemeinden gewählt werden, beraten; einer solchen Beratung
bedarf es auch dann, wenn vor Errichtung von Synoden für das ganze Königreich oder
einzelne Landesteile neue Kirchenordnungen erlassen oder in wesentlichen Grundsätzen,
namentlich in der Liturgie Veränderungen vorgenommen werden sollen. Auf Grund dieser
Verfassungsbestimmungen hat in dem vormaligen Königreich Hannover der Landesherr
die ihm in der evangelischen Kirche zustehende oberste Kirchengewalt teils unmittelbar,
teils mittelbar durch die Konsistorien 38 ausgeübt. Uber diesen Konsistorien stand das
Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten; unter ihnen wurde das Kirchen-
regiment durch Generalsuperintendenten und Kirchenkommissionen gehandhabt. Die schon
in älteren Landesgesetzen, hernach in §. 23 des Gesetzes v. 5. Sept. 1848 erteilte Ver-
heißung synodaler Einrichtungen und einer Mitwirkung der Synoden bei gewissen An-
1 Über die Verfassung der neupreuß. Landes- 5 Uber die Verfassung der hannoverschen Kirche:
kirchen vgl.: Die politische Lage und die Zukunft Schlegel, Kurhannoversches Kirchenrecht, 6 Bde.,
der evangel. Kirche in Deutschland, Gotha 1867; 1801—06; Schlegel, Kirchen= und Reforma-
Friedberg, Die evangel. und kathol. Kirche der tionsgeschichte von Norddeutschland und den han-
neu einverleibten Länder in ihren Beziehungen zur noverschen Staaten, Bd. II u. III, 1829 u. 1832;
preuß. Landeskirche und zum Staate, 1867; Die Spangenberg in Lipperts Annal. des Kirchen-
neuen evangel. Landesteile Preußens und die rechts, 1831—34, Heft 2, S. 20 ff.; Heft 3,
Union, 1867; v. H., Großpreußen und die Union S. 14 ff.; Heft 4, S. 65 ff.; Beste, Geschichte
der evangel. Kirche in Deutschland, 1867; Hin= der braunschweigischen Landeskirche, 1889; Bau-
schius, Die evangel. Landeskirche in Preußen staedt, Handbuch für die kirchl. Verwaltung in
und die Einverleibung der neuen Provinzen, der hannov. Landeskirche, 2 Bde., 1899; Schoen,
1867; Hengstenberg in dessen Kirchenzeitung, Bd. I, S. 126 ff., bes. 137 ff. (dort weitere Lite-
1866, Nr. 97, 98; 1867, Nr. 4; Die evangel. ratur); Martens, Die hannov. Kirchenkomm.,
und die kathol. Kirche in den neuen Landes= ihre Geschichte und ihr Recht, in Stutz' Kirchen-
teilen, Königl. Preuß. Staatsanzeiger 1868, rechtl. Abhandl., Heft 79/80, 1913.
Nr. 294; Herrmann, in den Göttinger gelehr- 5 Es bestanden fünf Konsistorien: a) zu Han-
ten Anzeigen 1867, Stück 14, S. 537; vor nover für die Fürstentümer Kalenberg, Gruben-
allem jetzt Schoen, Kirchenrecht, Bd. I, S. 93 f. hagen mit dem Harz, Göttingen, Lüneburg, Hil-
und die dort angeführte Literatur. desheim und die Grafschaften Hoya und Diepholz,
2 G. S. für Hannover 1840, Abt. I, S. 141 ff.; b) zu Osnabrück für das Fürstentum Osnabrück
zum folgenden: Lohmann, Kirchengesetze der (jedoch hatte die Stadt Osnabrück ein eigenes
evangel.-luther. Kirche des vormaligen König= Konsistorium), c) zu Stade für die Herzogtümer
reichs Hannover, 1871. Bremen und Verden, d) zu Otterndorf für das
* Über den Kultus vgl. die Kirchenordnung Land Hadeln, e) zu Aurich für Ostfriesland und
des Herzogs Julius von 1569, die von 1615, Harlingerland. Diesen Konsistorien waren auch
die Lüneburger des Herzogs Friedrich von 1643, die reformierten Geistlichen in der Inspektion
die Konsistorialausschreiben v. 10. Nov. 1769, Bowenden, im Bremischen, in der Grafschaft
betr. die Verbesserung des öffentl. Gottesdienstes, Lingen und in Ostfriesland unterstellt. In den alt-
und v. 16. Jan. 1800, betr. Liturgica. hannoverschen Provinzen existierte eine reformierte
4 G. S. für Hannover 1848, Abt. I, S. 261 ff. Konföderation oder Synode, welche unmittelbar
§. 23 trat an die Stelle des §. 66 des Landes= unter dem Min. d. geistl. Ang. stand. In der Graf-
verfassungsges. v. 6. Aug. 1840. schaft Bentheim endlich gab es einen Oberkirchenrat.
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht. 5. Aufl. 111. 14