Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

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fassungsurkunde anerkannt. 
Die Gesetzgebung. 
G. 117.) 
Art. 107 bestimmt zuvörderst als Prinzip: „Die Verfassung. 
kann (nur) auf dem ordentlichen Wege der Gesetzgebung abgeändert 1 werden.“ 
Der „ordentliche Weg der Gesetzgebung“ ist derjenige, welchen Art. 62 der Verfassungs- 
urkunde feststellt, 
also das Zustandekommen eines solchen Gesetzes, 
Ubereinstimmung des Königs und beider Kammerrn hervorgeht. 
welches aus der- 
Somit erfordert 
jede Abänderung des Staatsgrundgesetzes verfassungsmäßig die Ubereinstimmung zwischen 
Krone und Volksvertretung über diese Abänderung, und es ist völlig unstatthaft, 
die 
Verfassung durch einseitige Verordnung des Königs zu ändern.? — lbrigens steht 
  
Württemb. St. R., Bd. I, S. 823—824, 826, 
Note 4; Held, System des Verfassungsrechtes, 
Bd. II, S. 67—72). 
1 „Wenn der Art. 107 der Verf. Urk. zuläßt,“ 
so führte v. Rönne, 4. Aufl., Bd. II, S. 364, 
Note 1, aus, „die Verfassung auf dem ordent- 
lichen Wege der Gesetzgebung kabzuänderng, 
so gestattet sie damit nicht, dieselbe auf dem ge- 
dachten Wege Caufzuheben?. Denn 4 Auf- 
hebungo und Abänderung) sind verschiedene Be- 
griffe, deren Unterscheidung vorzüglich darin be- 
steht, daß die Abänderung die Substanz einer 
Sache bestehen läßt, während die Aufhebung auch 
die ganze Substanz schlechthin und mit einem 
Male wegschafft. Indem aber der Art. 107 die 
(iAbänderung? möglich macht, befürwortet er 
nicht nur nicht die Aufhebungy?, sondern 
macht vielmehr die Aufhebung unmöclich. Über- 
dies beschwören der König und die Mitglieder 
der beiden Häuser der Volksvertretung die ge- 
wissenhafte Beobachtung der Verfassung 
(Art. 54 u. 108 der Verf. Urk.); dieser Eid aber, 
wenngleich er nicht hindert, die Verfassung unter 
Beobachtung der Formen des Art. 107 im ein- 
zelnen abzuändern, ist unverträglich mit 
der Zustimmung zur Aufhebung derselben. 
Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten so- 
wohl als die Mitglieder des Herrenhauses ent- 
nehmen ihr Recht einzig und allein dem Boden 
der Verfassung; deshalb aber würden sie ihren 
auf die Verfassung geleisteten Eid verletzen, 
wenn sie zu einer Beseitigung derselben ihre 
Zustimmung erteilten. Denn dieser Eid ver- 
pflichtet sie nach seinem klaren Wortlaute zur 
Aufrechterhaltung der Verfassung. Von die- 
sen Grundsätzen ausgehend, hat denn auch die 
1. Kammer einen Antrag einiger Mitglieder der- 
selben (Fürst Reuß, Graf Saurma, v. Al- 
vensleben und v. Normann), welcher dahin 
ging, „die Staatsregierung um Vorlegung eines 
Gesetzentwurfs zu ersuchen, wonach die Verfas- 
sung v. 31. Jan. 1850 auf dem in Art. 107 der- 
selben vorgeschriebenen Wege wieder aufgehoben 
werde“, für unvereinbar mit dem Inhalte des 
Art. 107 erklärt und denselben daher durch über- 
gang zur Tagesordnung beseitigt (vgl. den Be- 
richt zur Komm. der 1. K. v. 18. Febr. 1853, 
Drucks. der 1. K. 1852—53, Bd. III, Nr. 141, 
S. 7—8, und die Plenarverhandl. darüber in 
den Stenogr. Ber. der 1. K. 1852 —53 vom 
24. Febr. 1853, Bd. I, S. 426—435). Aus 
gleichen Motiven sind auch alle bei den Kammern 
in Petitionen auf eine Totalrevision der Ver- 
fassung gestellte Anträge durch Übergang zur Tages- 
ordnung beseitigt worden. Dergleichen Petitionen 
sind u. a. von dem Grafen v. Saurmas-Jeltsch 
und Gen. aus Breslau, von dem Stadtrat Moritz 
  
in Stettin und Gen., von mehreren pommerschen 
Gutsbesitzern und von 67 Landleuten und 104 
Städten der Priegnitz eingereicht worden. Die 
Komm, der 2. K. hat (in ihrem Ber. v. 7. Jan. 
und 4. März 1852) dergl. Petitionen als „ver- 
werfliche“ und „verderbliche“ bezeichnet (vgl. das 
Nähere hierüber in den Seenogu Ber. der 1. K., 
15. Sitz. v. 26. Jan. 1852, S. 159—170, und 
62. Sitz. v. 4. Mai 1852, S. 1135—1142, und 
in den Stenogr. Ber. der 2. K., 12. Sitz. v. 
16. Jan. 1852, S. 129—142, und 51. Sit. v. 
27. März 1852, S. 979; desgl. Drucks. der 1. K. 
1851—52. Rd L, Nr. 40 S. 9; Bd. II, Nr. 51, 
sub B, Nr. 69, S. 1, Nr. 90, S. 5; Bd. IV. 
Nr. 265, sub A; Drucks. der 2. K. 1851—52, 
Bd. 1, Nr. 40, und Bd. IV, Nr. 171). Dull- 
heuer (Die Elemente des preuß. Rechts [Berlin 
1862), S. 8 in der Note) bezeichnet zwar die 
obige (von beiden Kammern angenommene) An- 
sicht als unrichtig, „weil die Abänderung eines 
Gesetzes sowohl die partielle als die totale Auf- 
hebung umfasse“; allein wenn auch nicht in Ab- 
rede gestellt werden soll, daß es zulässig ist, 
die ganze Verfassung aufzuheben und durch eine 
völlig neue zu ersetzen, so würde dies doch 
nicht auf Grund des Art. 107 der Verf. 
Urk., sondern nur auf Grund der Vereinbarung 
der Krone mit einer sog. konstituierenden 
oder Nationalversammlung (vgl. Held, 
System des Verfassungsrechts, Bd. II, S. 83 ff.) 
rechtlich geschehen können. Die auf Grund der- 
Verf. Urk. bestehenden Häuser des Landtages 
und deren Mitglieder sind nicht berechtigt, 
einer totalen Aufhebung der Verf. Urk. ihre 
Zustimmung zu erteilen. Sie sind eidlich ver- 
pflichtet, die Verfassung zu erhalten; sie dür- 
fen partielle Abänderungen genehmigen; aber 
das Votum über totale Aufhebung steht nicht 
ihnen, sondern eventuell der Nation zu.“ Diese- 
Erörterungen v. Rönnes bewegen sich nur auf 
politischem Boden. Richtig dagegen Arndt, Verf. 
Urk., S. 373; v. Schulze, Pr. St. R., Bd. II, 
S. 59; Fleischmann, Weg der Gesetzgebung. 
S. 115; Schwartz, Verf. Urk., S. 338. 
2 Die einseitige Abänderung der Verfassung. 
würde mithin auch nicht durch Bezugnahme auf 
das Notverordnungsrecht (Art. 63 der Verf. 
Urk.) gerechtfertigt werden können, weshalb der- 
Art. 63 auch ausdrücklich bestimmt, daß eine Ver- 
ordnung niemals der Verfassung zuwider- 
laufen darf. Noch weniger würde sich die ein- 
seitige Abänderung der Verfassung durch Berufung: 
auf das Staatswohl begründen lassen; denn 
eine Anderung der Staatsverfassung kann 
niemals durch das sog. Staatsnotrecht (das jus 
eminens) gerechtfertigt werden. Die Regel: Salus 
publica suprema lex esto! mag es in gewissen.
	        
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