Entwicklung der Gesetzgebung. (8. 174.) 409
schreiten des Staates wurde daher für erforderlich erachtet; allein auch jetzt wählte die
Staatsregierung noch nicht den Weg des Baues auf Staatskosten, sondern entschloß sich
nur zur Unterstützung der Ausführung durch die Geldkräfte des Staates, insbesondere
aber durch libernahme der Garantie für die Zinsen der Anlagekapitalien. In späterer
Zeit wurde durch die Staatsregierung, von den bisher befolgten Grundsätzen abweichend,
die Ausführung mehrerer Eisenbahnen für Rechnung des Staates übernommen; bei mehreren
von Aktiengesellschaften ins Leben gerufenen Eisenbahnunternehmungen hat der Staat die
Vollendung des Ausbaues und auch die Verwaltung und den Betrieb der Bahnen über-
nommen. Das in solcher Weise entstandene sog. gemischte Staats= und Privatbahn=
system hat dann dem Staatsbahnsystem Platz gemacht, indem der Staat, der durch
die Einverleibung der neuen Provinzen neben einer erheblichen Anzahl von Staatsbahnen
ein abgeschlossenes Staatsgebiet erhalten hatte, fast alle bedeutenderen Eisenbahnlinien
an sich zog. Endlich aber bleibt noch hervorzuheben, daß die Staatsregierung den
Eisenbahnunternehmungen eine größere Ausdehnung und eine vorteilhaftere Verbindung
mit angrenzenden Staaten? durch den Abschluß von Staatsverträgen mit fremden Re-
gierungen 3 über die Anlegung von Eisenbahnen, welche durch verschiedene Landes-
gebiete führen, und über den Anschluß preußischer Eisenbahnen an solche gewährt hat.
II. Die Grundlage der preußischen Gesetzgebung über die Eisenbahn-
unternehmungen und insbesondere über die Verhältnisse der Eisenbahngesellschaften
zum Staate und zum Publikum bildet das für den ganzen damaligen Umfang der
Monarchie erlassene Gesetz v. 3. Nov. 1838, dessen §. 49 die Ergänzung und Abände-
rung nach Maßgabe der weiteren Erfahrung und der sich daraus ergebenden Bedürfnisse
vorbehalten hat. Die Ansichten, die zur Zeit des Erlasses des Gesetzes v. 3. Nov.
!1838 über das damals noch in den ersten Anfängen befindliche Eisenbahnwesen in den
maßgebenden Kreisen bestanden, haben infolge der seitdem gemachten Erfahrungen vielfach
einer veränderten Erfahrung Platz machen müssen. Namentlich paßt das Gesetz in
vielen Punkten seit der Zeit nicht mehr, in der der Staat selbst angefangen hat, Eisen-
bahnen zu bauen und bestehende zu erwerben oder deren Verwaltung zu übernehmen.
Es geht vielmehr aus der ganzen Fassung des Gesetzes hervor, daß der Gesetzgeber die
Regelung dieser neu entstandenen Verhältnisse noch nicht im Auge gehabt hat; denn das
Gesetz spricht durchweg nur von Privat-Eisenbahngesellschaften und deren Stellung gegen-
über dem Staate."
Ungeachtet der anerkannten Unvollkommenheiten des Eisenbahngesetzes ist dasselbe
dennoch durch die Verordnung v. 19. Aug. 1867 (G. S., S. 1426) in die im Jahre
1866 mit der Monarchie vereinigten Landesteile eingeführt. Nur die Bestimmungen der
88. 11—13, 15—19, 38—41 und 44 sind ausgenommen worden.? Die Verordnung
v. 19. Aug. 1867 hat jedoch vorgeschrieben, daß, soweit die erteilten Konzessions-
urkunden über das Verhältnis der bestehenden Eisenbahngesellschaften zum Staate und
zum Publikum abweichende Bestimmungen enthalten, es bei ihnen sein Bewenden behalten
1 Kab. O. v. 22. Nov. 1842 (G. S., S. 307).
Infolgedessen hat der Staat eine Zinsgarantie
für die Aktien verschiedener Privateisenbahnen
übernommen. Vgl. über die einzelnen Garantien
v. Rönne, Wegepolizei des preuß. Staates, 1852,
S. 7. — Der Staat trat zu den Privateisenbahnen
— zufolge der mit ihnen abgeschlossenen Verträge
und der bestätigten Statuten — in finanzielle Be-
ziehungen in zweifacher Beziehung, indem er sich
bei dem Eisenbahnunternehmen durch Gewährung
einer Zinsgarantie beteiligte oder indem er einer
Gesellschaft bare Subsidien gewährte. Vgl. die
ausführliche Darstellung dieser Verhältnisse in der
Schrift: Rapmund, Die finanzielle Beteiligung
des preuß. Staates bei den preuß. Privateisen-
bahnen. Im Auftrage des Min. für H., Gew. u.
öffentl. Arb. unter Benutzung amtlicher Quellen
dargestellt, 1869.
2 Dem Ausland gegenüber sind die Eisenbahnen
Zollstraßen. Vgl. Vereinszollges. v. 1. Juli
1869 (R. G. Bl.), S. 317, §. 17, Abs. 1 und
Eisenbahnzollregul. vom J. 1888, abgedruckt bei
Fritsch, Handb.2, S. 467.
„ Eine lbersicht über die internationalen Ab-
machungen bei Fritsch, Handb.2, S. 485.
4 Vgl. §. 48 des Eisenbahnge. durch den
diesem Geset rückwirkende Kraft beigelegt ist.
5 Die nicht mit eingeführten §§. des Ges. v.
3.Nov. 1838 betreffen das Enteignungsverfahren,
das Wiederkaufs= und Vorkaufsrecht an den zu
Eisenbahnzwecken enteigneten oder durch Vertrag
erworbenen Grundstücken, die von den Eisen-
bahnen zu entrichtenden Abgaben, und die Be-
schränkung über die Anlegung von Konkurrenz-
bahnen durch andere Unternehmer.