Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Zweite Abteilung. (3_2)

Entwicklung der Gesetzgebung. (8. 174.) 411 
angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessioniert und mit dem Expro— 
priationsrechte ausgestattet werden. Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, 
sich den Anschluß neu angelegter Bahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen. 
Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein Wider- 
spruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel= oder Konkurrenzbahnen einräumen, werden, 
unbeschadet bereits erworbener Rechte, für das ganze Reich aufgehoben. Ein solches 
Widerspruchsrecht kann auch in den künftig zu erteilenden Konzessionen nicht weiter ver- 
liehen werden (Art. 41). 
2. Die Bundesregierungen sind verpflichtet, die deutschen Eisenbahnen im Interesse 
des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten und die neu herzustellenden 
Bahnen nach einheitlichen Normen anlegen und ausrüsten zu lassen (Art. 42). 
3. Es sollen demgemäß übereinstimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere 
gleiche Bahnpolizeireglements ! eingeführt werden, und das Reich hat dafür Sorge zu 
tragen, daß die Eisenbahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nötige Sicher- 
heit gewährenden baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so aus- 
rüsten, wie das Verkehrsbedürfnis es erheischt (Art. 43). 
4. Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, die für den durchgehenden Verkehr 
und zur Herstellung ineinander greifender Fahrpläne nötigen Personenzüge mit entsprechen- 
der Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des Güterverkehrs nötigen Güter- 
züge einzuführen, auch direkte Expeditionen im Personen= und Güterverkehr, unter Ge- 
stattung des Uberganges der Transportmittel von einer Bahn auf die andere, gegen die 
übliche Vergütung einzurichten (Art. 44). 
5. Dem Reiche steht die Kontrolle über das Tarifwesen? zu. Es soll namentlich 
dahin wirken: daß auf allen deutschen Eisenbahnen übereinstimmende Betriebsreglements 
eingeführt werden 3, daß die möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, 
insbesondere, daß bei größeren Entfernungen für den Transport von Kohlen, Koks, Holz, 
Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Düngungsmitteln und ähnlichen Gegenständen ein dem 
Bedürfnis der Landwirtschaft und Industrie entsprechender ermäßigter Tarif, und zwar 
zunächst tunlichst der Einpfennigtarif eingeführt werde (Art. 45). 
6. Bei eintretenden Notständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Teuerung der Lebens- 
mittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, für den Transport, namentlich von 
Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einen dem Bedürfnis entsprechen- 
den, von dem Kaiser auf Vorschlag des betreffenden Bundesratsausschusses“ festzustellenden, 
niedrigeren Spezialtarif einzuführen, der jedoch nicht unter den niedrigsten auf der be- 
treffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehen darf (Art. 46). 
7. Den Anforderungen der Behörden des Reiches zur Benutzung der Eisenbahnen 
zum Zwecke der Verteidigung Deutschlands haben sämtliche Eisenbahnverwaltungen un- 
weigerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militär und alles Kriegsmaterial zu 
gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern (Art. 47). 
  
1 Auf Grund der Art. 42 u. 43 der Reichs- 
verf. sind erlassen die Eisenbahnbau= und Betriebs- 
ordn. v. 4. Nov. 1904 (R. G. Bl., S. 387) als 
grundlegende Vorschrift für den Bau und Betrieb 
von Haupt= und Nebenbahnen, die Signalordn. 
für die Eisenbahnen Deutschlands v. 24. Juni 
1907 (R. G. Bl., S. 377), abgeändert 12. März 
1910 (R. G. Bl., S. 515), und die Bestimmungen 
über die Befähigung von Eisenbahnbetriebs= und 
Polizeibeamten v. 8. März 1906 (R. G. Bl., 
S. 391). 
2 Auf Grund der Bestimmungen der Art. 45 
u. 46 der Reichsverf., welche jedoch auf Bayern 
keine Anwendung finden, steht dem Reiche zwar 
die Kontrolle über das Tarifwesen zu; hierin 
  
liegt jedoch keineswegs die Befugnis des Reichs- 
eisenbahnamtes, den Eisenbahnverwaltungen Tarife 
vorzuschreiben, sondern nur das Recht, von den 
bestehenden Tarifen in Kenntnis gesetzt zu werden 
und darüber zu wachen, daß die Eisenbahnver- 
waltungen teils bei Aufstellung und Veröffent- 
lichung der Tarife den für sie bestehenden landes- 
gesetzlichen oder konzessionsmäßigen Vorschriften 
genügen, teils beim Abschlusse der Transportver- 
träge die bestehenden Tarife innehalten. 
3 Eisenbahnverkehrsordn. v. 23. Dez. 1908 
(R. G. Bl. 1909, S. 93). 
4 Ausschuß für Eisenbahnen, Post und Tele- 
graphie. Reichsverf., Art. 8, Abs. 1, Ziff. 5.
	        
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